Bundestagswahlkampf auf TikTok – welche Parteien sind besonders erfolgreich und warum?

Kristina Kobrow:
Herzlich willkommen zum BredowCast, dem Podcast des Leibniz-Instituts für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut. Mein Name ist Kristina Kobrow und ich darf in diesem Podcast mit MedienforscherInnen sprechen. Der Medienforscher, der mir heute gegenübersitzt, ist Dr. Gregor Wiedemann. Gregor ist Politikwissenschaftler, promovierter Informatiker und leitet hier am HBI zusammen mit Dr. Sascha Hölig das sogenannte Media Research Methods Lab. Da ist das Leitprojekt das Social Media Observatory. Über beides wird Gregor gleich noch sprechen. Er hat sich vor der Bundestagswahl, die am 23. Februar hier war, mit Parteien und insbesondere mit der Partei AfD auf TikTok beschäftigt und der Frage, was den Erfolg der Partei bzw. der Parteien auf dieser Plattform eigentlich ausmacht. Genau darüber wollen wir heute sprechen, über TikTok und über die Parteien im Kontext der Bundestagswahl. Lieber Gregor, schön, dass du da bist. 

Gregor Wiedemann: 
Ja, hallo, schön, dass ich hier sein kann.

Kristina Kobrow:
Magst du einmal erzählen, was ist das Media Research Methods Lab, was du leitest und in dem du arbeitest? 

Gregor Wiedemann:
Jawohl, na klar. Also das Media Research Methods Lab ist eines von aktuell vier Forschungsprogrammen am Hans-Bredow-Institut und wir, wie der Name schon sagt, beschäftigen uns mit Methodenforschung, insbesondere mit Computational Social Science Methoden, die wir untersuchen und weiterentwickeln, um damit große Datenmengen für die Kommunikations- und Medienwissenschaften zu erforschen. Und da liegt es natürlich nahe, dass wir im Zuge von Prozessen der Digitalisierung uns auch mit Social Media Daten ganz explizit beschäftigen. Also wir gucken eben an, was Leute auf Social Media Plattformen wie Facebook, TikTok und so weiter eigentlich treiben, wie die sich unterhalten, wie das die öffentliche Kommunikation und die öffentliche Meinung vielleicht auch beeinflusst. 

Kristina Kobrow:
Und wenn du sagst wir, wer ist da noch beteiligt? 

Gregor Wiedemann:
Wir sind im Moment ein Team von sechs WissenschaftlerInnen und dann noch studentischen Hilfskräften und das variiert immer so ein bisschen in der Größe, je nachdem, welche Drittmittelprojekte bei uns gerade laufen. Also im Moment haben wir ein Projekt zum Beispiel zu Desinformation auf verschiedenen Plattformen, wo wir gucken, wie verteilt sich Desinformation über diese Plattformen hinweg. Ein anderes Projekt hat sich mehr mit Methoden der automatischen Inhaltsanalyse auseinandergesetzt. Das läuft jetzt noch bis zum Ende des Sommers und dann werden wieder neue Projekte kommen, sodass eben die Mitarbeiterzahl immer so ein bisschen schwankt. 

Kristina Kobrow:
Und das Social Media Observatory, das ist jetzt quasi das Leitprojekt und die Projekte, die du gerade genannt hast, sind Teil dieses Observatories oder? 

Gregor Wiedemann:
Nicht direkt Teil davon, sondern die sind da angedockt, mehr oder weniger. Oder wir haben Synergien zwischen den Projekten, sagen wir mal so. Also zum Beispiel ist das Projekt, das sich mit Desinformation beschäftigt, quasi so eine Art Spin-Off aus dem Social Media Observatory. Und das Social Media Observatory, das ist insofern spannend, weil das eben so eine relativ langfristige Perspektive in unserer eigentlich kurzen Projektlogik, die wir in der Wissenschaft häufig haben, hat. Das wird nämlich gefördert im Rahmen des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt und das FGZ wird über zwei Förderphasen im Moment gefördert. Die erste lief von 2020 bis 2024 und jetzt die zweite Förderphase von anschließend dann 24 bis 29. Und eben damit stehen uns neun Jahre zur Verfügung, um so eine Art Infrastruktur aufzubauen, mit der wir systematisch Social Media Plattformen beobachten können. Wir können eben Accountlisten zusammenstellen von öffentlichen SprecherInnen wie PolitikerInnen oder JournalistInnen und gucken, was posten die auf diesen Plattformen und können eben auch vergleichen, wie unterscheiden sich dann Plattformen wie Twitter, X oder Facebook und wie unterschiedlich sind dort die Menschen unterwegs, wie unterschiedlich reagieren die Menschen dort auf die Kommunikation der öffentlichen SprecherInnen, welche Plattformen werden im Laufe der Zeit stärker, welche anderen weniger stark frequentiert von den NutzerInnen, welche Plattformen entfalten eine besondere Bedeutung für den politischen Diskurs und so weiter. 

Kristina Kobrow:
Und ihr seid hier in Hamburg einer von elf Standorten, glaube ich, insgesamt vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, also FGZ? Das heißt, nur ihr beschäftigt euch mit diesen Fragen, die Medien und gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffen, ne?

Gregor Wiedemann:
Ja, ganz genau. Also das FGZ hat die elf Standorte mit ganz unterschiedlichen Disziplinen, die dort eingebunden sind. Es gibt auch andere ForscherInnen, die mit Bezug zu Medien arbeiten an den anderen Standorten, aber in der Regel mit einer anderen disziplinären Perspektive, zum Beispiel aus der soziologischen Perspektive eher oder mit einer politikwissenschaftlichen Brille. Also explizit Kommunikations- und Medienwissenschaften ist genau der Standort Hamburg hier, die wir abdecken im FGZ. 

Kristina Kobrow:
Dann kommen wir doch direkt zu den Parteien und TikTok. Also ihr habt geschaut im Kontext der Bundestagswahl, also vor dem 23. Februar, wie viele Parteienkanäle es eigentlich gibt auf TikTok, was die da eigentlich machen und wie Erfolg entsteht und wie man den Erfolg eigentlich messen kann. Vielleicht kannst du vorweg einmal sagen, ist TikTok eine politische Plattform? 

Gregor Wiedemann:
Das ist schon mal eine ganz spannende Entwicklung, die man da sehen kann. Am Anfang wurde die Plattform als eher so eine Art Teenie-Plattform geframed, wo Leute lustige Tanzvideos oder irgendwelche anderen Clips einstellen, die jetzt vor allem irgendwie einen belustigenden Charakter haben sollten. Also Humor spielt auch eine ganz große Rolle auf der Plattform. Aber gleichzeitig hat sich die Plattform eben auch zu einem wichtigen Ort von politischer Kommunikation und politischer Auseinandersetzung entwickelt in den letzten Jahren. Und das ist ganz deutlich geworden in den Wahlkämpfen zur Europawahl und zu den Landtagswahlen im letzten Jahr, als aufgefallen ist, dass die AfD dort unglaublich viel Zuspruch hat und einen unglaublich starken Kanal gefunden hat, um junge Menschen vor allem zu erreichen. Also was damals bei den Wahlen auffällig war, ist, dass der Zuspruch für die Partei bei jüngeren Wählerinnen und Wählern ganz überdurchschnittlich hoch war und auch enorm zugenommen hat im Vergleich zu anderen vorangegangenen Wahlen. Und eine Möglichkeit, das zu erklären, ist tatsächlich dieser direkte Zugang, den die Partei gefunden hat über kleine Videos von ihren Spitzenkandidaten oder der Parteiorganisation selbst oder eben auch von anderen Kandidierenden auf den Listen der Partei, sowohl zu den Landtagswahlen als auch in der Europawahl, dann eben einen direkten Draht für die Kommunikation ihrer Botschaften zu finden. Und wie wir das auch schon von der extremen Rechten auf anderen Plattformen kennen, werden da Mittel von Emotionalisierung und von sehr persönlicher Ansprache genutzt in einem viel stärkeren Maße, als das demokratische Parteien normalerweise tun. Die führen eher sachliche Auseinandersetzungen und unterhalten sich darüber zum Beispiel, ob dann halt bestimmte Forderungen, die der politische Gegner im Wahlkampf aufstellt, ob die denn finanziell gedeckt sind oder nicht. Und diese Art der Auseinandersetzung, die führt die AfD gar nicht, sondern die AfD, die spricht junge Leute dann eben viel direkter emotional und auch auf ihre Bedürfnisse oder ihre aktuelle Lebenslage hin teilweise an. Also wir haben dieses berühmte Video zum Beispiel von Maximilian Krah im Europawahlkampf gesehen, wo er minutenlang darüber erzählt, was echte Männer ausmacht und dass echte Männer doch diese und jene Eigenschaften haben und vor allem unter anderem rechts denken würden und rechts wählen sollten. Und das spricht eben zum Beispiel eine verunsicherte Jugend an, die eben tatsächlich vielleicht ihre Identität sucht, ihre Rolle in der Gesellschaft finden will und gleichzeitig durch krisenhafte Entwicklungen in der Gesellschaft darüber verunsichert ist, wie denn ihre eigene Zukunft eigentlich positiv ausgestaltet sein kann. Dass diese Lösungen, die dort angeboten werden, jetzt vielleicht eher populistisch sind und gar nicht funktionieren, ist etwas, das die Partei natürlich nicht diskutiert. Und da ist auf der Plattform selbst dann in den vergangenen Jahren aber auch eine Art Gegenbewegung entstanden. Also wir haben sowas wie #ReclaimTikTok gesehen. Das ist ein Hashtag, unter dem junge Leute auf der Plattform Videos gepostet haben, die sich dann gegen die AfD und ihre populistische Politik wenden. Und war so eine Initiative von jungen InfluencerInnen, die sich davon genervt gefühlt haben, dass wenn sie politischen Content auf der Plattform gesehen haben, der ganz häufig eben von extremen rechten Akteuren kam. Das ist auch etwas, das wir jetzt im Rahmen der Bundestagswahl untersuchen wollten. Wir haben dann jetzt die Bundestagsparteien, also die demokratischen Parteien, auf diese Entwicklung reagiert. Im Sommer waren alle noch relativ entsetzt darüber, dass die AfD beispielsweise, wenn man sich reine View-Zahlen anguckt, dann dort mehr Leute erreicht hat als alle anderen Parteien zusammen. 

Kristina Kobrow:
Das heißt was genau? 

Gregor Wiedemann: 
Also View-Zahlen sind die Anzahlen an Videos, oder wie häufig Videos einer Partei geguckt wurden. Man kann über die Plattform für jedes einzelne Video sehen, das wurde jetzt irgendwie 50.000 Mal, 100.000 Mal, eine Million Mal angeklickt. Oder beziehungsweise nicht angeklickt, sondern in TikTok wird es einem ja über einen Algorithmus in einen Feed eingespielt. Und man switcht einfach immer weiter zum nächsten Video. Und dadurch wählt man eigentlich gar nicht aktiv aus, sondern das macht der Algorithmus auf der Plattform für einen. Und das kann dazu führen, dass bestimmte Videos eben extreme View-Zahlen bekommen und andere wiederum einfach fast gar nicht beachtet werden. Ohne dass man selber quasi was einstellen kann oder muss. Ohne dass man das selber sehr gut unter Kontrolle hat. Das ist etwas, das versuchen Marketingleute genauso wie Leute im PR-Bereich natürlich seit Jahren schon herauszufinden. Wie erzeugen wir viralen Content? Wie schaffen wir es, dass die Botschaften, die wir haben, von möglichst vielen Leuten gesehen und weiterverbreitet werden? Wie das genau funktioniert, das bleibt das Geheimnis der Plattform. Und auch natürlich sowas wie sozialpsychologische Erklärungsfaktoren, die dahinterstehen, die jetzt auch nicht immer völlig transparent sind. Nichtsdestotrotz ist es eben tatsächlich so, dass die AfD besonders erfolgreich ist und eben tatsächlich mehr Leute erreicht als alle anderen demokratischen Parteien zusammen mit ihren Videos. Das war zumindest die Situation in den Wahlkämpfen im letzten Jahr der Fall. Und wir wollten jetzt eben gucken, wie haben die Parteien reagiert? Haben die jetzt eben auch versucht, eigene Videos zu erstellen, die mehr junge Leute ansprechen, die viraleren Content produzieren, die eben auch allein durch die vermehrte Aktivität auf der Plattform es schaffen, dass sie häufiger angesehen werden. Und der Algorithmus eben sich dann zum Beispiel dafür entscheidet, das häufiger auszuspielen an die Nutzerinnen und Nutzer. Und was wir gesehen haben, ist, dass es tatsächlich eine ganz erhebliche Zunahme an Aktivitäten in anderen Parteien gab. Also durch die Bank weg haben eigentlich alle Parteien auch Social-Media-Wahlkampf auf TikTok gemacht. Man kann zum Beispiel allein die Anzahl der Videos zählen und wir sehen, dass da die SPD die AfD sogar überholt hat. Also 214, 220 Videos haben wir im Wahlkampfzeitraum von der SPD-Accounts gesehen. 

Kristina Kobrow:
Und ich glaube, die SPD hat auch mehr Kanäle sogar als die AfD, kann das sein? 

Gregor Wiedemann:
Genau, also auch in Anzahl an Videos und Anzahl an Kanälen ist die AfD tatsächlich nicht mehr führend oder war sie auch tatsächlich teilweise vorher nicht. Aber was die Aufmerksamkeit und die Anzahl an Interaktionen mit Nutzerinnen und Nutzern auf der Plattform angeht, ist das natürlich damit noch nicht gesagt. Also nur, weil ich auf der Plattform aktiv bin und mir Mühe gebe, viel Content da reinzustellen, heißt das noch lange nicht, dass die Leute das auch angucken. Also rein von den Aktivitätsleveln ist die AfD auf den zweiten, dritten Platz gerutscht. Also auch Bündnis 90 Die Grünen sind ganz stark in den Social-Media-Wahlkampf auf TikTok eingestiegen. CDU, FDP und Linke sind vergleichsweise noch ein bisschen weniger aktiv, was jetzt die reine Anzahl an Videos von den Kandidierenden angeht, die wir beobachtet haben. Aber da sticht jetzt interessanterweise auch heraus, dass die Linke gleichzeitig, obwohl sie dieses vergleichsweise geringere Aktivitätslevel hat, ein unglaublich viel größeres Level an Aufmerksamkeit bekommen hat.

Also wir zählen wie gesagt dann Interaktionen auf TikTok. Das können zum Beispiel die Anzahl an Views sein, aber auch die Anzahl an Kommentaren, die gepostet werden oder die Anzahl an Reposts oder Reshares von Videos durch andere NutzerInnen. Und da sehen wir, dass die Linke zur AfD aufgeschlossen hat. Also im Wahlkampf hat die Linke eine Reihe von Videos gepostet, die unglaublich häufig angesehen wurden, die auch zu den häufigsten Videos überhaupt aus dem Wahlkampf zählen, die am häufigsten angeklickt wurden. Unter anderem von der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, die eben in ihrer emotionalen Bundestagsrede nach Friedrich Merz‘ Versuch... 

Kristina Kobrow:
…genau, die war am 29. Januar.

Gregor Wiedemann:
Genau, am 29. Januar einen Antrag durch den Bundestag zu bringen, bei dem er auch Stimmen der AfD in Kauf genommen hat. Nach diesem strategischen Tabubruch, wie es aus Sicht der Linken geframed wurde, genau hat Heidi Reichinnek eine sehr emotionale Rede im Bundestag gehalten und eben diese Zusammenarbeit, diese verdeckte Zusammenarbeit mit der Rechten extrem kritisiert. Und diese emotionale Rede hat eben einen hohen Faktor an Authentizität, spricht eben dem Ärger von vielen Leuten scheinbar irgendwie aus der Seele und wurde insgesamt, wenn ich mich jetzt recht entsinne, um die sieben Millionen Mal oder so auf TikTok angeklickt oder angesehen. 

Kristina Kobrow:
Und das ist viel auf TikTok oder für Politiker oder für Parteien? 

Gregor Wiedemann:
Absolut, ja, das ist viel, genau. Also das allerhäufigste Video, was wir gefunden haben im Wahlkampf, wurde, glaube ich, 16 Millionen Mal angeklickt und wurde von der FDP gepostet. Das ist so eines der wenigen Ausreißer, wo die FDP mal tatsächlich irgendwie sichtbar geworden ist. Dabei handelt es sich interessanterweise um den Tortenwurf auf Christian Lindner auf einer Wahlkampfveranstaltung. Ich glaube, in Greifswald war es gewesen, wo eine Linken-Kommunalpolitikerin ihn mit einer Schaumtorte beworfen hat. Und in einem cleveren Move von so proaktiven Social-Media-Wahlkampf hat die FDP das eben selber auf TikTok gestellt, dieses Video und eben mit der Botschaft, wir lassen uns durch sowas nicht aufhalten, so in der Richtung. 

Kristina Kobrow:
Also war es gar keine Blamage eigentlich, sondern es wurde genutzt und geframed, also wir sind stark, wir machen weiter. 

Gregor Wiedemann:
Ganz genau. Also das war sozusagen der Move von der FDP-PR, das sozusagen jetzt auch positiv auszunutzen. In Sachen Aufmerksamkeit kann man sagen, ist die Logik aufgegangen. Also mit 16 Millionen Views ist das mit Abstand das am häufigsten gesehene Video, sind auch nur 19 Sekunden oder so irgendwie.

Also das wurde dann tatsächlich eben sehr, sehr häufig wahrgenommen. Gleichzeitig ist es aber natürlich damit nicht gesagt, dass sich dadurch Wählerinnen und Wähler in irgendeiner Form dazu hinreißen lassen, jetzt die FDP besser zu finden oder nicht. 

Kristina Kobrow:
Das hat ja auch nichts mit den Inhalten eigentlich zu tun...

Gregor Wiedemann:
Die politische Wirkung davon dürfte doch eigentlich eher gering sein. Ich finde eigentlich den Vergleich auch immer ganz instruktiv von wie viel Sinn macht es dann im Wahlkampf, sich auf diesen Plattformen zu engagieren mit politischen Wahlplakaten. Also politische Wahlplakate funktionieren auch nicht auf diese Art und Weise, dass jetzt Leute interessiert stehen bleiben, irgendwie an der Laterne und sich die Botschaften auf den Plakaten durchlesen und dann sich denken, ach Mensch, jetzt gebe ich meine Stimme mal Volt oder so irgendwie. Sondern die Leute nehmen wahrscheinlich eher nur wahr, okay, es ist Wahlkampf und diese Parteien treten überhaupt zur Wahl an. Und sowas wie Volt oder wie die FDP ist wahrscheinlich wählbar. Und dann mache ich mir vielleicht noch irgendwie Gedanken, okay, wofür stehen eigentlich diese Parteien irgendwie und nehme noch ein Schlagwort von dem Plakat mit. Aber ich werde keine Wahlentscheidungen auf Basis der Tatsache treffen, dass vor meiner Haustür oder bei meinem Bäcker oder sonst wo dieses Wahlplakat hängt. 

Kristina Kobrow:
Ja, wobei, also da finde ich eigentlich Forschung auch mal spannend. Ich weiß gar nicht, vielleicht gibt es das ja noch von irgendwem oder so von der SPD, von den Plakaten, weil die haben ja einen QR-Code direkt drauf gehabt, wie viele Menschen eigentlich diesen QR-Code gescannt haben oder so, weil da steht ja nicht direkt viel auf dem Plakat, aber es ist zumindest ein Mittel auf diesem Plakat gegeben, das zeigt, hier könnt ihr alles nochmal nachlesen. 

Gregor Wiedemann:
Das stimmt, das war eine interessante Entscheidung von den WahlkampfmanagerInnen der SPD, diesen Weg zu gehen. Ich habe noch keine Auswertung dazu gesehen. Ich nehme an, die Anzahl an Menschen, die dieses Feature genutzt haben, wird verschwindend gering sein. Also man kann vielleicht damit den Eindruck erzeugen, dass man irgendwie der digitalen Zukunft zugewandt ist, aber es wird jetzt auch nicht dazu beigetragen haben, da sonderlich viel mehr Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Auf Social Media ist das, glaube ich, teilweise ein bisschen ähnlich. Also wichtig ist vor allem, dass man stattfindet auf TikTok zum Beispiel, wenn man junge Leute erreichen will. Junge Leute gucken nicht die Tagesschau, junge Leute lesen nicht die Tageszeitung. Also unsere anderen Nachrichtendutzungsauswertungen hier am HBI zeigen, dass die Nutzungsgewohnheiten von üblichen Wegen der Nachrichtenverbreitung bei jungen Leuten doch sehr stark anders ausgeprägt sind.

Kristina Kobrow:
Aber die Tagesschau ist doch auch in Social Media, oder? Ist sie nicht auch auf Instagram? 

Gregor Wiedemann:
Ja, sie ist auch in Social Media und auch Ausschnitte von der Tagesschau landen natürlich auch in Auszügen in TikTok-Videos vielleicht manchmal. Aber auf jeden Fall ist sie auf YouTube vertreten. Aber genau, die Botschaft ist halt sozusagen aber eher, dass man diese anderen Verbreitungswege und Kanäle wählen muss. Und da ist TikTok zum Beispiel besonders in der Hinsicht, als dass man sich dort den Inhalt, den man konsumiert, nicht aktiv selbst aussucht, sondern dass er eben von dem Algorithmus bereitgestellt wird. Und der Algorithmus stellt eben tatsächlich relativ selten Inhalte der öffentlich-rechtlichen Medien bereit, sondern wählt in aller Regel die Dinge, von denen er ausgeht, dass sie die Menschen gerne sehen wollen nach anderen Kriterien aus. Und da ist dann eben ganz viel Content dabei, den andere Nutzerinnen und Nutzer auf TikTok erstellt haben, aber jetzt nicht redaktionelle Qualitätsmedien. Und insofern kann man sich schon politisch informieren auf der Plattform. Und wenn man aber dann als Nutzer auch irgendwie erleben soll, welche Parteien treten mit welchen Botschaften zur Wahl an, dann müssen diese Parteien eben auch eigene Inhalte dort einstellen. Und das ist, was das jetzt 2025 im Wahlkampf doch auch verstanden wurde, wie gesagt. Die Parteien haben die Videos erstellt, haben die Anzahl an Accounts vergrößert, haben ihre Kandidaten dort platziert und haben in dem Sinne quasi die Wahlplakate von der Laterne auch auf den Handy-Bildschirm geholt und den Leuten damit wiederum ins Gedächtnis rufen, hey, ja, wir treten auch zur Wahl an, ihr könnt uns auch wählen. 

Kristina Kobrow:
Da würde ich aber gerne nochmal fragen, weil du jetzt so viele unterschiedliche Videos genannt hast, also du hattest am Anfang gesagt, das Krah-Video, wo es darum ging, populistische Reden zu schwingen und damit zu überzeugen, wer wählt uns? Dann hattest du von Heidi Reichinnek die Wutrede genannt, wo es darum ging, eigentlich zu sagen, wählt bloß nicht die CDU wählt, sondern uns, die Linken. Und dann hattest du noch den Tortenwurf auf Christian Lindner, also die FDP, erwähnt. Und da ist schon jetzt meine Frage, was ist dann erfolgreich auf TikTok? Also ist es irgendwie, ist es Wut, ist es Witz, ist es tatsächlich populistische Sprache, ist es tatsächlich vielleicht auch einfach Monotonie und ganz viele Videos? 

Gregor Wiedemann:
Also letzteres tendenziell weniger. Also viele Videos bringen nicht in der Summe unbedingt viel Interaktion oder viel Sichtbarkeit, wenn eben einzelne dieser Videos nicht tatsächlich dann auch mal viral gehen und von vielen Leuten gesehen werden. Also die Verteilung von den Interaktionsmetriken, die wir sehen, die sind unglaublich schief. Also das bedeutet sozusagen, dass wir ganz, ganz viel Aufmerksamkeit auf eine ganz kleine Menge von Content haben und die übergroße Masse an Content, der auf der Plattform eingestellt wird, kaum Menschen erreicht. Insofern kann man das mit einer großen Anzahl an Videos, die man einstellt, nicht unbedingt erschlagen, sondern man muss eben auch gucken, dass man die Stimmung der ZuschauerInnen insofern aufnimmt oder trifft, dass diese eben bei diesem Inhalt dabei bleiben wollen und potenziell vielleicht mehr davon sehen wollen. Also bei TikTok wird ganz genau beobachtet, wie lange bleiben Leute auf einem Video, das ihnen ausgespielt wird, hängen. Also wenn das Video selber vielleicht eine Minute lang ist, macht das einen großen Unterschied, ob die Leute das zu Ende gucken oder ob die nach zehn Sekunden irgendwo anders hin switchen.
Sie gucken ganz genau darauf, wie viele Likes vergeben Nutzerinnen und Nutzer für die Videos oder wie viele Kommentare werden unter die Videos gepostet und anhand dieser Kriterien entscheidet dann der Algorithmus darüber, ob das etwas ist, das für eine größere Zahl von Menschen interessant ist und spielt das dann auf weitere Mobilgeräte aus, wenn die die TikTok-App anmachen. Und zusätzlich ist das auf eine Weise personalisiert, als dass die Plattform über jeden Nutzer und jede Nutzerin weiß, was sind potenziell deren politische Einstellungen oder Vorlieben anhand dieser Nutzungsweisen der Plattform. Und das führt eben dazu, dass man sehr gezielte Inhalte angezeigt bekommt, von denen die Plattform davon ausgeht, dass man sie gerne sehen möchte. Und das ist dann da wieder ein sozialpsychologischer Effekt, dass das genau solche Inhalte sind, die uns emotional in irgendeiner Weise berühren. Also entweder weil sie uns zum Lachen bringen oder weil sie uns ärgern und uns aufregen. Das sind so zwei ganz typische Emotionen, die eben einen hohen Grad an Empathie und an Mitfühlen und an Aufmerksamkeit und Dabeibleiben erzeugen. Und das ist etwas, das sehr geschickt ausgenutzt wird von Leuten, die auf der Plattform aktiv sein wollen. Und gerade die politischen Akteure auf der rechten Seite haben das sehr früh verstanden, dass man eben mit so Emotionen wie Wut oder mit Emotionen wie Angst Leute dabei bei der Stange halten kann. 

Kristina Kobrow:
Gut, weil das auch nicht nur deren Mittel für TikTok ist, sondern generell.

Gregor Wiedemann:
Genau, das funktioniert auch über alle anderen Wege der Verbreitung in Bundestagsreden, genauso wie in Twitter-Posts oder in der Wahlkampfbroschüre. 

Kristina Kobrow:
Und genau deswegen ist für mich die Frage, wie können es denn demokratische Parteien schaffen, trotzdem dort viral zu gehen oder einfach erfolgreiche Videos zu posten? Also kommt es da auch nicht nur darauf an, vielleicht habe ich vielleicht special effects, vielleicht sind die auch überhaupt gar nicht relevant, auf die Länge des Videos oder vielleicht auch auf ein starkes Unterstützer-Netzwerk, das die Videos eben teilt etc., was du gerade schon erwähnt hast? 

Gregor Wiedemann:
Ja, also genau da sind verschiedene Sachen entscheidend. Einmal die Gestaltung der Videos selbst, die natürlich in irgendeiner Form für die Zielgruppe interessant sein muss. Also da gibt es das berühmte Video von Olaf Scholz, wie er so seine Aktentasche auspackt, irgendwie als eines der ersten großen Kanzler-Videos auf TikTok. 

Kristina Kobrow:
Wann war das? 

Gregor Wiedemann:
Das muss zwei Jahre her sein oder so, glaube ich. Also das wurde als relativ schnarchig empfunden, glaube ich, und nicht unbedingt zur Zielgruppe passend. Hatte auf der anderen Seite aber auch den Charme von Authentizität, weil jetzt auch niemand Herrn Scholz abgenommen hätte, dass er jetzt irgendwie eine bestimmte Tanzeinlage oder sowas irgendwie im Kanzleramt vorführt. Also da gibt es eben diesen Spagat zwischen Dingen, die einerseits interessant und aufregend sein sollen und auf der anderen Seite aber auch Authentizität zeigen sollen. Das ist etwas, was zum Beispiel dieses Video von Heidi Reichinnek gut zusammenbringt.

Kristina Kobrow:
Die war glaub ich auch relativ spontan gehalten, oder?

Gregor Wiedemann:
Genau, die war relativ spontan gehalten. Man nimmt ihr den Ärger und die Wut über diesen Dammbruch der Zusammenarbeit mit der AfD deutlich ab und sie macht einen klaren, inhaltlichen, starken Punkt. Also das ist vielleicht auch etwas, was den Wahlkampf der Linken insgesamt ausgezeichnet hat, sodass man jetzt nicht nur sagen kann, nur weil die Linke auf TikTok erfolgreich war, wurde sie auch viel gewählt, sondern sie war erfolgreich, weil sie bestimmte Inhalte angesprochen hat, die andere Parteien in diesem Wahlkampf nicht angesprochen haben. Der Wahlkampf hat sich ja sehr früh von eigentlich der Idee, ihn als Wirtschaftswahlkampf zu führen, hin zu einem Innere-Sicherheitswahlkampf und der Rolle von Migration hin entwickelt und auf einmal haben sehr viele Parteien darüber gesprochen, wie die Bedrohungslage durch Migrantinnen und Migranten, wie stark die tatsächlich ist und welche Mittel dazu gewählt werden müssen, um das einzustellen oder in den Griff zu bekommen. Und damit sind ganz viele andere Themen, die die Menschen auch in diesem Wahlkampf eigentlich berührt haben, in den Hintergrund getreten. Und die Linke hatte es relativ geschickt gemacht, in ihren Videos genau auf diese Themen auch zu setzen, also soziale Themen, Mieten, Gesundheitsversorgung waren so Sachen, die in den Videos angesprochen wurden. Und die gehören eben auch zu den viel angesehenen Videos auf TikTok, die eben sehr große Aufmerksamkeit dort auf sich gezogen haben. Also man merkt auch, dass zumindest Teilen der Bevölkerung eben dieser Fokus auf die Migrationsdebatte zu eng war und die eben große Bedürfnisse dazu hatten, eben das auch andere Themen angesprochen werden. Und die anderen Parteien haben das nicht in dem Maße bedient, wie die Linke das gemacht hat. Und das hat sich für sie dann am Ende auch in vermehrten Stimmen ausgezahlt, würde ich denken. 

Kristina Kobrow:
Und hat sich das auch in der Follower-Zahl also bei den Kanälen gezeigt oder waren das wirklich nur die View-Zahlen quasi, dass man gesehen hat, okay, das haben jetzt mehr Leute geschaut? 

Gregor Wiedemann:
Also da kommen wir auch wieder zu der angesprochenen Frage nach dem Unterstützungsnetzwerk. Also das ist tatsächlich auch etwas, was wir auch auf anderen Plattformen schon sehen konnten oder können, dass es eben eine starke Polarisierung in den Meinungsaustauschen gibt und an diesen Polen der verschiedenen Meinungen, die dort aufeinandertreffen, eben auch unterschiedlich starkes Engagement von einzelnen Nutzerinnen und Nutzern vorherrscht, eine bestimmte Meinung zu pushen oder zu stark zu unterstützen. Also das äußert sich dann darin, dass eben auf Twitter, haben wir das lange gesehen, sehr viele bestimmte positionvertretende Accounts ganz, ganz aktiv Antworten gepostet haben. Zum Beispiel, wenn sich Grüne gegen die Atomkraft ausgesprochen haben, dass dann eben ganz viele eher rechte Accounts sehr stark die Atomkraft verteidigt haben und genau dann ganz stark die Grünen angegriffen haben. Und so ein ähnliches Muster finden wir auch in TikTok natürlich. Das ist ein sehr großes Unterstützungsnetzwerk, auch schon ein länger gewachsenes, gibt das AfD-Content dort, versucht über den Algorithmus hochzukriegen, in dem eben ganz aktiv für die AfD positive Kommentare geschrieben werden in den Kommentarspalten für die Videos, in dem die AfD-Videos selbst ganz doll geliked werden und eben diese Auswahlkriterien des Algorithmus versucht werden, eben durch aktives Engagement absichtlich hochzutreiben. Und das kann man natürlich ganz gut machen, wenn man irgendwie so eine Gruppe von Leuten, die viel Zeit im Internet verbringen und die einen großen Tatendrang in diese Richtung haben, dann dazu bringen kann, eben diese Plattform-Eigenschaften auf diese Weise zu nutzen. Und das haben andere Parteien in dem Maße nicht ganz so stark gemacht. Bei der Linken kann man aber doch tatsächlich auch sehen, dass es im Zuge des Wahlkampfs zu einer ganz großen Zuwachs von Followerzahlen gekommen ist und diese Follower sicherlich auch dazu beigetragen haben, dass die Videos stärker vom Algorithmus bevorzugt gezeigt werden. Wobei jetzt gerade für TikTok als Plattform eben das sehr intransparent ist, nach welchen Kriterien der Algorithmus nun tatsächlich Videos auswählt. Also die reine Followerzahl ist es definitiv jetzt nicht von einem Account, die dazu beiträgt, dass ein Video viel gesehen wird, sondern es sind vor allem eben wirklich diese Interaktionen und da ist es eben ein großer Unterschied, ob es eben Leute gibt, die eben bei der Linken oder eben aber bei der AfD mit Feuer und Flamme für diese Partei eintreten und dadurch viel motivierter sind, eben mit der Plattform oder mit der Partei auf der Plattform zu interagieren. Oder ob man so ein bisschen, ja okay, auch interessanter SPD-Inhalt, interessanter CDU-Inhalt, aber möchte ich jetzt nicht öffentlich meine Unterstützung dafür bekunden, ob man sozusagen so unterwegs ist. Also insofern die Frage nach, wie können demokratische Parteien reagieren, ist irgendwie, wie können sie diese Interaktionen stärker pushen und erzeugen. Also man kann natürlich die eigene Parteibasis stärker motivieren zu Interaktionen auf der Plattform, um diese algorithmische Logik dort weiter auszunutzen. Das ist etwas, was als Strategie sicherlich sehr sinnvoll ist. Man kann versuchen, Videos zu machen, die eben insofern überraschend sind oder ansprechend, als dass sie dann eben auch erhöhte Interaktionsraten nach sich ziehen. Und am Ende muss man aber auch sagen, dass es wahrscheinlich über Forschung begründete Regulierung der Plattformen stärker braucht, weil es zumindest Anhaltspunkte dafür gibt, dass auch hier eine gewisse unfaire Bevorzugung von zum Beispiel rechten Parteien auf TikTok oder rechtem Content auf TikTok vorliegen kann, wie wir das auf Twitter X, spätestens seit der Übernahme durch Elon Musk, auf jeden Fall sehen, dass dort eben systematisch liberale, linke, demokratische Inhalte weniger stark ausgespielt werden vom Algorithmus und dafür eher aus dem rechten politischen Lager stammende Inhalte stärker gepusht werden. Und für TikTok gibt es keine großen Studien dazu, die ich jetzt kenne, die das jetzt sozusagen irgendwie direkt zeigen könnten. Aber es gibt zumindest Anhaltspunkte dafür, dass auch die Plattform hier Einfluss nimmt. Und das müsste eigentlich über Regulierung, denke ich, für einen fairen Wahlkampf irgendwie ausgeglichen werden können.

Kristina Kobrow:
Könntet ihr das denn erforschen? Also kommt ihr an die Daten ran, sodass ihr dazu tatsächlich auch Studienergebnisse präsentieren könntet oder wie ist das? 


Gregor Wiedemann:
Also nur teilweise. Wir können eben nur die Interaktionen auf den Plattformen selbst als Metadaten beobachten, aber auch eben nur für die bestimmten Accounts, die wir uns angucken. Und ganz viel passiert ja in diesen Unterstützungsnetzwerken. Also wir beobachten ja die sogenannten öffentlichen SprecherInnen, also ParlamentarierInnen, PolitikerInnen, Parteiorganisationen, JournalistInnen. Aber wir beobachten jetzt nicht, was jetzt Herr XY aus der Nachbarstraße auf TikTok tut, der aber vielleicht ein großer AfD-Fan ist, der eben Videos in dem Bereich neu zusammenschneidet oder sich eigene Inhalte aus öffentlich-rechtlichen Fernsehsendungen zusammenbastelt und mit einer AfD-Pro-AfD-Botschaft versieht und dann auf die Plattform bringt. Und dieser Teil von Content ist durchaus auch entscheidend für den Erfolg von einer Partei auf der Plattform. Also was machen die Unterstützungsnetzwerke, die eben nicht die offiziellen Kommunikationskanäle der Parteien sind. Die können wir im Moment nur ungenügend beobachten und wir können auch nicht beobachten, welche Rolle eben bestimmte Entscheidungen in dem Algorithmus dafür spielen, dass bestimmte Inhalte ausgespielt werden. Also ein Beispiel, von dem ich gesehen hatte oder gelesen hatte, ist, dass es Versuche gab, neue Accounts auf TikTok anzulegen mit identischem Inhalt, identischem Profilbild und auch identischem Videocontent, der hochgeladen wurde. Und dann wurde lediglich, da war lediglich der Unterschied, dass diese Inhalte unterschiedlich mit Hashtags vertagged wurden. Einmal mit Pro-AfD-Hashtags und einmal mit Hashtag Robert Habeck Grüne. Und dann hat man sich eben angeguckt, wie die Interaktionen mit diesen Videos sich in den ersten ein, zwei Tagen, nachdem sie gepostet haben, entwickelt haben. Und man sieht, dass halt eben bei den mit AfD-getaggten Videos eine zumindest nennenswerte Anzahl an Interaktionen stattgefunden hat, obwohl dieser Account ja völlig neu war und unbekannt. Und die mit Grünen getaggten Accounts eben überhaupt keine Interaktionen produziert haben. Also da waren wirklich null Views. Und das ist zumindest ein Anhaltspunkt dafür, dass es, also dafür kann man immer noch nicht daraus schließen, dass das die Plattform macht, sondern das könnten natürlich Nutzerinnen und Nutzer sein, die aktiv nach diesen Hashtags suchen und dann mit dem Video interagiert haben. Aber es zeigt zumindest, dass die Art, wie die Plattform ihre Inhalte den Nutzerinnen präsentiert, dass die eben auch durch solches koordiniertes Verhalten sehr stark in eine Richtung gelenkt werden kann. Und das ist etwas, was man vielleicht in einem demokratischen, fairen Wahlkampf in irgendeiner Form ausgleichen möchte. 

Kristina Kobrow:
Dann vielleicht einer der Abschlussfragen nochmal. Ihr seid nicht die Ersten, die sich mit der Frage beschäftigt haben, wie macht es die AfD eigentlich auf TikTok, wie ist sie da präsent und wie machen es andere Parteien? Es gibt teilweise ja von anderen Institutionen, von Stiftungen die Beobachtung, dass die Dominanz der AfD mittlerweile eigentlich gebrochen ist, weil so viele andere Parteien dort auch aktiv sind und erfolgreich sind. Was habt ihr herausgefunden bei eurer Forschung? 

Gregor Wiedemann:
Also wir würden der optimistischen Einschätzung tendenziell widersprechen, weil wir eben in unseren Messungen von Interaktionen und View-Zahlen mit den Videos immer noch sehen, dass die AfD über alle Kategorien, die wir hinweg beobachtet haben, führend ist.

Also die AfD hat am meisten Likes bekommen, ihre Videos sind am meisten angesehen worden und sie wird auch am meisten kommentiert. Also wir haben zum Beispiel für jeden Tag im Wahlkampf beobachtet, was war an diesem Tag das erfolgreichste Video und über den Zeitraum der sechs bis acht Wochen des Wahlkampfs im Jahr 25 konnten wir eben sehen, dass die AfD in rund einem Drittel dieser Tage am meisten Aufmerksamkeit bekommen hat und sich die zwei Drittel auf alle anderen sieben Bundestagsparteien dann verteilen. Also wir sehen hier einen deutlichen Abstand immer noch, wenn man sich den Zahlen auf diese Art und Weise nähert. Der einzige Punkt, bei dem ich sagen würde, wo man eine gewisse Einschränkung dazu machen kann, ist eben dieser doch signifikante Erfolg der Linken, den wir auf der Plattform dann so nicht erwartet hatten im Wahlkampf und wahrscheinlich auch das Team der Linken selbst überrascht hat und eben nicht nur bei einem einzelnen Erfolg eines einzelnen Videos geblieben ist, sondern auch in den Tagen nach der Rede von Heidi Reichinnek im Bundestag eben andere Videos durchaus auch sehr große Aufmerksamkeit gezogen haben. Ich könnte mir vorstellen, dass hier so ein Mechanismus ins Werk gekommen ist, der Aufmerksamkeit auf die Partei gelenkt hat und noch mal gezeigt hat, okay, es gibt in diesem sehr monothematischen Wahlkampf auch noch Stimmen, die ganz andere Themen ansprechen und die das halt auch auf eine ansprechende Art und Weise vermitteln können und das hat wahrscheinlich doch noch mal eine neue Reihe von Leuten in irgendeiner Form angesprochen oder überzeugt, sich näher damit zu beschäftigen. Insofern ist die Bilanz vom letzten Sommer aus den Landtagswahlkämpfen, die eine so übergroße Dominanz der AfD festgestellt hat, jetzt insofern ein bisschen zu abzuschwächen, ja, dass die AfD nicht mehr der einzige und alleinige Player da ist, aber sie ist mittlerweile so lange dabei und macht die Sache auch auf eine Art und Weise und mit viel Erfahrung, sodass die anderen Parteien da immer noch nicht ranreichten, würde ich sagen.

Kristina Kobrow:
Ich könnte jetzt noch ganz viel mehr fragen, auch zu anderen Plattformen oder so zu vergleichen, wie es da vielleicht aussieht. Das machen wir heute nicht, vielleicht ein andermal. Jetzt ist die Wahl um. Wir sind immer noch in Koalitionsgesprächen, zumindest heute, wo wir diesen Podcast aufnehmen, am 24. März. Wie geht denn deine Arbeit jetzt weiter, Gregor? Also was erforscht ihr jetzt oder als nächstes? 

Gregor Wiedemann:
Also wir haben das für den Wahlkampf natürlich jetzt so ein bisschen ad hoc beobachtet und uns sehr stark auf diese schnell auswertbaren Metriken konzentriert. Jetzt geht es natürlich daran, diese großen Datenmengen, die wir eingesammelt haben, also zum Beispiel über 15.000 Videos aus dem gesamten Wahlkampf. Aber auch wir haben auch Mediendaten aus den öffentlich-rechtlichen Mediatheken eingesammelt, wo wir uns Talkshows, politische Talkshows, in denen die Kandidierenden aufgetreten sind, angucken, dass wir diese ganzen großen Datenmengen für wissenschaftliche Fragestellungen aufbereiten und auswerten. Und das ist natürlich eine große Herausforderung, dass wir jetzt eben hier mit vielen Videodaten arbeiten, die erstmal automatisch transkribiert werden müssen und dann verglichen werden müssen daraufhin, welche Botschaften sind eben in diesen Videos enthalten, wie nehmen die Leute dort aufeinander Bezug und welchen Weg nimmt denn zum Beispiel irgendwie eine politische Aussage, die in einer Talkshow gefallen ist, auf den Weg in die sozialen Medienplattformen? Also wir sehen zum Beispiel sowas wie Alice Weidel, die in einem Spitzenkandidatinnengespräch insgesamt eigentlich schlecht abgeschnitten hat in der Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Aber auf TikTok finden sich 30-sekündige Ausschnitte aus dieser Veranstaltung, bei der sie wie eine großartige Politikerin wirkt mit einem visionären Plan für die Zukunft. Und genau diese Veränderungen des Framings von wie ist das im Fernsehen eigentlich gelaufen und wie wird das dargestellt auf sozialen Medien komprimiert, das interessiert uns. Das wird wahrscheinlich eine Art Forschungsarbeit, die wir eben jetzt in längerer und ausführlicherer Auswertung vorbereiten.

Kristina Kobrow:
Dann vielen Dank für deine Ausführungen. Und genau, wer noch mehr über unsere Arbeit hier am HBI erfahren möchte, auch was andere hier gerade so erforschen, der kann am besten auf unsere Website schauen. Das ist leibniz-hbi.de oder kann uns auf LinkedIn oder der Plattform Threads folgen. Auf TikTok sind wir momentan jedenfalls noch nicht zu finden. Dir Gregor, vielen Dank. 

Gregor Wiedemann:
Ja, vielen Dank auch.

Kristina Kobrow:
Tschüss. 

Gregor Wiedemann:
Tschüss.