Beatuty-Filter: Sollten bearbeitete Fotos gekennzeichnet werden? Kristina Kobrow: Herzlich willkommen zum BredowCast, dem Podcast des Leibniz-Institut für Medienforschung I Hans-Bredow-Institut. Mein Name ist Kristina Kobrow und ich darf in diesem Podcast mit MedienforscherInnen über ihre Arbeit sprechen. Heute sprechen wir über ein Gutachten, das Anfang Februar im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz erschienen ist und dieses Gutachten beschäftigt sich mit der Frage, ob retuschierte Darstellungen insbesondere in sozialen Medien und bei InfluencerInnen einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht unterliegen sollen und wenn ja, wie diese Kennzeichnungspflicht ausgestaltet sein müsste. Dieses Gutachten wurde erarbeitet von drei meiner KollegInnen hier am Institut, nämlich von Dr. Stephan Dreyer, von Dr. Claudia Lampert und Sünje Andresen und mit einem von diesen dreien, nämlich mit Stephan Dreyer, dem Medienjuristen, darf ich heute hier sprechen. Herzlich willkommen lieber Stephan, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Stephan Dreyer: Ja hallo Kristina, schön, dass ich da sein darf. Kristina Kobrow: Ich habe es eben schon erwähnt, dieses Gutachten ist gerade erst erschienen, nämlich am 5. Februar. Vielleicht magst du noch mal erzählen, ihr habt dieses Gutachten verfasst im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz. Was macht denn diese Kommission genau? Was möchtet ihr mit diesem Gutachten? Stephan Dreyer: Also die Kommission für Jugendmedienschutz oder KJM ist ein zentrales Organ aller Landesmedienanstalten in Deutschland, die, wie der Titel schon sagt, spezifisch für den Jugendmedienschutz zuständig ist. Das heißt also, wenn jetzt zum Beispiel ein Podcaster in Hamburg Hassrede verbreitet oder erotische Geschichten ohne technische Schutzhürden veröffentlicht, dann würde die Landesmedienanstalt hellhörig werden und würde die Programme, um die es dann da geht, an die KJM geben, um das prüfen zu lassen. Und diese Kommission prüft dann eben, ob es sich um entwicklungsbeeinträchtigende oder jugendgefährdende Inhalte handelt, und würde dann das Programm beanstanden oder die Website oder was auch immer. Und das macht die KJM und die ist sozusagen ein Wanderorgan. Die ist immer das zuständige Organ für die Landesmedienanstalt, die dann gerade zuständig ist für einen Anbieter. Kristina Kobrow: Und warum diskutiert man jetzt über die Notwendigkeit von Kennzeichnungspflichten genau? Warum ist das ein Thema für die KJM? Stephan Dreyer: Das geht schon ein bisschen länger eigentlich. Wir haben seit 2013 in Israel ein sogenanntes Photoshop-Gesetz, so haben die das genannt, Photoshop-Law, weil die dort ganz, ganz große Probleme hatten mit zu dünnen Models, mit magersüchtigen Models bis hin zum Hungertod einzelner Models. Und da hat Israel damals gesagt, wir müssen etwas dagegen tun. Und seitdem kocht die Frage immer wieder hoch, ob zu viel Schönheit, sozusagen, insbesondere in sozialen Medien, schönheitsidealisierte Darstellungen möglicherweise dazu führen können, dass man selber ein verzerrtes Körperbild bekommt, unzufrieden ist mit dem eigenen Körper und dann entsprechend Pathologien entwickelt, wie zum Beispiel Depressionen oder Essstörungen oder dergleichen. Und ja, so seit 2017, 2018 taucht das in der deutschen Medienpolitik auch immer wieder mal auf, dass zum Beispiel Gleichstellungsbeauftragte aus einem Bundesland vorschlagen, können wir nicht einfach diese manipulierten, zu schönen Fotos sozusagen kennzeichnen, wenn die retuschiert sind und damit dann so einen Teufelskreis unterbrechen. Und das kommt immer so hoch. Also die Diskussion, jemand schlägt das vor und dann gibt es wieder ein bisschen Berichterstattung und dann verläuft das aber irgendwie wieder im Sande. Und da hat die KJM einen Anlass gesehen zu sagen, können wir das nicht einfach mal interdisziplinär bearbeiten, analysieren lassen, um zu gucken, wie die Notwendigkeit für so eine Kennzeichnung aussieht und wenn es eine Notwendigkeit gibt, wie die dann gestaltet werden müsste, ganz praktisch. Also in welches Gesetz kann man welche Vorschrift dann möglicherweise reinschreiben. Kristina Kobrow: Dazu frage ich dich auch später noch. Genau, aber erstmal vielleicht die Frage vorab, was sagt denn die Wissenschaft dazu? Also ist es tatsächlich so, dass Bilder zum Beispiel zu Essstörungen führen können? Also ist die Problematik tatsächlich da oder was habt ihr da herausgefunden oder was sagen andere Studien? Stephan Dreyer: Ja, also das war Teil dieser Begutachtung, dass wir den Stand der Forschung aufarbeiten, um zu verstehen, was die Medienwirkungsforschung sagt, insbesondere auf schönheitsbezogene Nutzung von sozialen Medien und insbesondere bei Jugendlichen. Um mehr oder besser sprechfähig zu sein, wenn es um die Frage geht, ob es hier wirklich geboten erscheint, so eine gesetzliche Vorschrift einzuführen. Und da muss man eigentlich vorneweg vor die Klammer schicken, ein Körperbild als Konzept sozusagen, ein Schönheitsideal ist unglaublich komplex. Das ist nichts, was man irgendwie definieren könnte oder kurz abfragen könnte bei Personen, sondern das ist sehr, sehr vieldimensional und auch unterliegt ständigen Veränderungen, sodass man im Prinzip das eigene Körperbild nicht einfach abfragen kann, sondern das sind schon psychologische größere Analysen, die da notwendig sind. Und genauso ist es, wenn es um die Medienwirkung bei der Nutzung von sozialen Medien geht. Also auch da zu sagen, ich schaue mir schöne Menschen oder vermeintlich schöne Menschen im Internet an und bekomme dann eine Essstörung, so etwas wird die Forschung nicht nachweisen können. Also solche Monokausalität ist ohnehin immer schwierig nachzuweisen überall in der Medienwirkungsforschung. Aber wenn es dann auch noch so um komplexe Zusammenhänge geht, wie etwa Schönheitsideale, körperdysmorphe Störungen oder dergleichen, dann ist da mit Kausalität ja nicht viel zu wollen, sondern was die Forschung da machen kann, sie kann Korrelationen beobachten. Also jemand, der mehr schönheitsbezogene Social-Media-Angebote nutzt, da ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es eine Körperbildstörung gibt. Aber das heißt nicht, dass das an dieser Nutzung liegt, sondern es nur statistisch sozusagen einen Zusammenhang dort gibt, der aber nicht darauf basieren muss, dass es jetzt kausal wirkt, sondern es kann sein, dass ohnehin jemand schon sehr schönheitsorientiert die ganze Welt wahrnimmt und oder schon vorher einen Hang zu einer körperdysmorphen Störung hatte. Und das wird dann möglicherweise verstärkt durch so eine Art von Social-Media-Nutzung. Also deswegen ist das so unglaublich schwierig, hier zu sagen, ja, das ist so, wie wir uns das aus dem Bauch heraus vielleicht vorstellen, zu viel Social-Media genutzt oder zu viele schöne InfluencerInnen angeschaut und jetzt ist die Essstörung da. So funktioniert das eben nicht, sondern es ist viel, viel komplexer. Aber nichtsdestotrotz, die Forschung, wenn man sie sich in der Zusammenschau anschaut, dann ist festzustellen, dass es da signifikante Zusammenhänge gibt. Und zwar insbesondere zwischen der Dauer von Social-Media-Nutzung und Essstörung oder einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, aber viel stärker noch bestimmte Nutzungsformen. Also eine schönheitsorientierte Nutzung erscheint sozusagen besonders darauf einzuzahlen, dass man unzufriedener wird mit dem eigenen Körper. Kristina Kobrow: Und was sagen die Jugendlichen selber dazu? Also es geht ja hier primär um Jugendliche, die in ihrer Entwicklung noch sind. Wären die für eine Kennzeichnungspflicht oder wären die gerade auch vielleicht dafür, dass es eine bestimmte Kennzeichnung gibt von Bildern, die nicht bearbeitet sind? Stephan Dreyer: Ja, das ist wie so häufig etwas widersprüchlich. Also es gibt gar nicht so viele Studien, die sich spezifisch mit der schönheitsbezogenen Social-Media-Nutzung von Jugendlichen auseinandergesetzt haben. Aber die wenigen, die das tun, die können zeigen, dass die verzerrten Schönheitsbilder offenbar gar nicht so stark durch Social-Media geprägt werden wie durch klassische Medien, also Plakatwände, Magazine oder dergleichen. Und das erklären sich dann die befragten Jugendlichen vor allen Dingen damit, dass sie sagen, auf Social Media ist sowieso alles fake. Das heißt also, wenn man das positiv wendet, da besteht schon so viel Medienkompetenz, dass die schon reflektierter an diese Social-Media-Angebote rangehen, weil sie ahnen, dass es ohnehin alles schon durch Beautyfilter gejagt worden ist. Gleichzeitig, also der NDR zum Beispiel hat 2024 eine Umfrage gemacht zu diesen Beautyfiltern und da haben auch die Kinder und Jugendlichen dann gesagt, das wäre toll, wenn wir eine Kennzeichnung hätten, weil dann würden wir uns kritischer damit auseinandersetzen und das würde uns auch bei unserer Körperunzufriedenheit helfen. Also irgendwie ein bisschen widersprüchlich. Aber diese Umfragen waren für uns auch super interessant, weil sie nämlich zeigen, dass die Politik hier tatsächlich ein bisschen unter Zugzwang steht, weil die breite Mehrheit in der Öffentlichkeit eben genau sagt, wir möchten solche manipulierten Fotos gerne gekennzeichnet wissen. Kristina Kobrow: Was ich hier auch nochmal spannend finde, sind Studienergebnisse einer Studie von YouGov im Auftrag der AOK, die 2023 durchgeführt wurde und zwar wurden 14- bis 30-Jährige gefragt und zwar 1500 Personen und die Frage war, bearbeitet ihr denn eigentlich eure Bilder auch vor dem Upload auf einer Social-Media-Plattform oder macht ihr es nicht? Und 97 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie ihre Bilder auch bearbeiten. Und dann finde ich es insofern sehr spannend, weil du ja gerade gesagt hast, die Jugendlichen möchten das gerne von anderen, also auch von kommerziellen Anbietern, dass die Bilder gekennzeichnet sind. Aber wenn so viele das auch selber machen bei ihren eigenen Bildern, bräuchte es da dann nicht auch eine Kennzeichnungspflicht? Stephan Dreyer: Ja, das ist eben eine große Frage. Wenn man so ein Gesetz haben möchte als Politik, dann ist die Frage, wie man genau den Anwendungsbereich von so einer Kennzeichnungspflicht dann umfasst oder beschreibt. Da können wir später nochmal reingucken, denn das ist gar nicht so einfach zu sagen, wer soll hier eigentlich wie kennzeichnen, wenn das denn ein politischer Wunsch ist. Ich finde aber das Thema so spannend, weil es nochmal zeigt, wie ubiquitär diese Beautyfilters auftaucht, indem du Identitätsmanagement betreibst als Jugendlicher, als Jugendliche. Das heißt also, du willst und musst dich möglicherweise auch möglichst perfekt in Szene setzen. Das heißt also, es ist schon schönheitsidealisiert sozusagen, der ganze Anreiz, die ganze Logik dieser Plattform. Und dann kommst du auf die Plattform und siehst, dass es eine große Anzahl, eine große Vielzahl von Beauty-Filtern gibt, die niedrigschwellig einsetzbar sind. Und das kommt dann natürlich in der Kombination zu dem Ergebnis, von dem du eben gesprochen hast, nämlich, dass faktisch alle schnell noch einen Filter draufhauen. Also da muss man schon sehr bewusst sozusagen Abstand von nehmen, um das nicht einfach gleich mitzumachen. Hinzu kommt, dass ja auch schon die Kamera im Smartphone in der Regel schon KI-optimierte Fotos macht. Also schon leichte Hautunreinheiten verbessert oder dergleichen. Also wir haben eigentlich schon überall Beauty-manipulierte Fotos. Also selbst, wenn wir nur auf den Auslöser drücken. Kristina Kobrow: Dann lass uns doch jetzt einmal zum Gesetzlichen kommen. Was gibt denn unser bestehender Rechtsrahmen schon her, wenn es um die Frage einer Kennzeichnungspflicht geht? Stephan Dreyer: Das Gutachten sollte ja nun klären, ob das erforderlich ist. Und wenn ja, wie man so eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht hinbekommt. Und ja, also angesichts fehlender Kausalitäten haben wir gesagt, also es ist nicht erforderlich. Aber wenn der Gesetzgeber sich entscheidet, das regeln zu wollen, dann könnte er das tun. Nämlich wegen dieser Korrelation sozusagen, ist also nicht ausgeschlossen, dass das irgendwie in Zusammenhang miteinander steht. Und deswegen ist dann der Gesetzgeber auch ermächtigt sozusagen, hier eine Regelung einführen zu können. Wenn es dann darum geht, wie so eine Regel aussehen könnte, müssen wir natürlich erst mal in den Rechtsrahmen schauen und sagen, vielleicht gibt es ja schon irgendwas, wo man anknüpfen könnte. Und da haben wir uns ein paar Vorschriften angeschaut, die vielleicht schon in so eine Richtung gehen, haben aber keine gefunden, die jetzt schon einfach so sozusagen nutzbar wäre, um eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Um mal ein Beispiel zu nennen, also im Bereich Jugendmedienschutz kennen wir Kennzeichen, nämlich die Alterskennzeichen. Und da wäre dann so eine Frage, ob man statt Alterskennzeichen möglicherweise ein anderes Kennzeichen aus Jugendschutzgründen dafür vorsieht. Haben aber dort abbrechen müssen sozusagen im Gutachten, weil klar geworden ist, dass eben nicht das eine manipulierte Bild zu einer Entwicklungsbeeinträchtigung führt, sondern wenn, dann sind es große Mengen ähnlicher schönheitsidealisierender Bilder. Das kennt aber das Jugendmedienschutzrecht so nicht. Also, dass man eine große Menge von Einzelinhalten sich anschaut, sondern wenn, dann muss man sich das Gesamtangebot anschauen. Ja, also so, das mal als Beispiel. Wir haben eben geguckt, welche Vorschriften gibt es da. Und eine, die bereits jetzt einschlägig sein könnte, ist eine aus der Plattformregulierung aus dem Digital Services Act, dem DSA. Der sieht nämlich in einer Vorschrift tatsächlich konkret den Jugendschutz vor. Also Plattformanbieter müssen dort ein hohes Maß an Sicherheit, Privatheit und Schutz bieten. Und dann könnte es eben sein, dass, wenn ich negative Effekte habe durch eine bestimmte Social-Media-Nutzung, dass das dann davon umfasst wäre. Aber daraus ergibt sich eben nicht automatisch gleich die Kennzeichnungspflicht, sondern da hat dann der Plattformanbieter große Möglichkeiten, Beurteilungsspielräume, wie genau er gegen solche Risiken dann vorgehen möchte. Kristina Kobrow: Du hattest am Anfang auch schon erwähnt, also das Beispiel Israel erwähnt. In eurer Studie selber oder in Ihrem Gutachten habt ihr herausgefunden, dass drei andere Länder, das sind eben zum einen Israel, dann ist es Norwegen und Frankreich, schon mit Kennzeichnungen arbeiten. Magst du da nochmal erläutern, welche Unterschiede es in den drei Ländern gab und was genau gekennzeichnet wird? Also geht es wirklich nur um Bilder? Geht es um kommerzielle Bilder oder geht es vielleicht auch um Videos? Stephan Dreyer: Ja, also das sind die drei Länder, die solche Vorschriften schon erlassen haben. Zuerst kam Israel, hatte ich schon gesagt, dann zog Frankreich nach und zuletzt war es jetzt Norwegen, die sowas eingeführt haben. Und es ist spannend, dann in die Länder zu schauen und zu schauen, wie haben die die Vorschrift gebaut, wie gilt die dort, wie wird die umgesetzt und was hat sie bewirkt. Und dafür haben wir mit Expertinnen und Experten aus den entsprechenden Ländern auch Interviews geführt, um ein bisschen hinter die Kulissen von Papier und Gesetz zu schauen. Und da konnten wir also einige Gemeinsamkeiten feststellen zwischen diesen drei Ländern, aber eben auch teilweise große Unterschiede, wie genau das geregelt wird. Und was in allen drei Ländern gleich ist, ist, dass es sich vor allen Dingen um kommerzielle Fotografien oder dann teilweise auch Videos handeln muss, damit diese Gesetze Anwendung finden. Und das weist schon auf ein großes Problem hin, was du vorhin auch schon angesprochen hast, nämlich, dass die nicht für private Fotografien oder Videos gelten auf diesen Plattformen. Das heißt also, wenn ich jetzt in meinem Feed bin und ich scrolle dadurch, durch die einzelnen Beiträge, dann habe ich in diesen drei Ländern auch ein manipuliertes Foto von einem Influencer, einer Influencerin, das bestenfalls auch ordentlich gekennzeichnet ist. Und dann kommt eben ein schönheitsmanipuliertes Bild von jemandem Privaten, was eine gleiche Wirkung haben kann oder hat und das ist dann nicht gekennzeichnet. Kristina Kobrow: Oder vielleicht aus einem ganz anderen Land, oder? Stephan Dreyer: Oder aus einem Land, wo es keine rechtliche Vorschrift gibt. Also oder jemand, der tatsächlich von sich aus natürlich schön ist sozusagen und gar nichts manipulieren muss. Also alle drei Länder haben ein großes Problem damit, dass die gekennzeichneten manipulierten Bilder in Konkurrenz treten zu ebenfalls manipulierten Bildern, die aber aus welchen Gründen auch immer nicht gekennzeichnet sind. Und das schwächt natürlich diese Orientierungsfunktion, die diese Gesetze haben sollen. Kristina Kobrow: Ich würde da gerne nochmal nachhaken wollen, wie das mit den Fotos von InfluencerInnen jetzt konkret aussieht. Also wenn ich jetzt eine Influencerin wäre, wäre es nicht auch verhältnismäßig einfach, das Gesetz zu umgehen, indem ich beispielsweise die Sprache ändere oder auch den Standort wechsel? Also gibt es da nicht auch Grauzonen, das Gesetz auszuhebeln, für den Einzelnen? Stephan Dreyer: Ja, das betrifft vor allen Dingen die Frage der Umsetzung oder Durchsetzung von diesen Gesetzen. Wir haben ein paar Stichproben zum Beispiel in Frankreich gemacht und gesehen, dass einige der Influencer dann andere Länder einfach angeben, um nicht unter die Kennzeichnungspflicht zu fallen. In Norwegen zum Beispiel halten sich die InfluencerInnen dran. Also das ist richtig so ein bisschen Berufsethos dort, dass man sagt, das kennzeichnet man entsprechend auch. Aber die ärgern sich wirklich ganz, ganz stark darüber, dass sie mit InfluencerInnen aus anderen Ländern, dann zum Beispiel Schweden oder Finnland, Nachbarländer, dann in Konkurrenz treten, die eben nicht eine entsprechende Vorschrift haben. Und sie dann sagen, das ist für uns eigentlich eine Form von visueller Wettbewerbsbehinderung, die uns unfair erscheint. Kristina Kobrow: Was bedeutet denn Kennzeichnung jetzt optisch eigentlich? Geht es da nur um so einen kleinen Schriftzug in einem Bild, wo man eigentlich schon weiß, wir nehmen ja als Menschen sowieso eher die Bilder wahr und nicht unbedingt den Text dann im Bild? Oder geht es um etwas anderes? Wie sehen die Kennzeichnungen in den Ländern denn aus? Stephan Dreyer: In den drei Ländern kann man richtig eine kleine Evolution erkennen. Israel hat einfach nur gesagt, das muss gekennzeichnet werden, hat keine Vorgaben dazu gemacht, außer dass es eine bestimmte Größe haben muss. Aber was dort genau, wie gekennzeichnet wird, ist offen geblieben bei dem Gesetz. Und das wird auch als großes Manko beurteilt, weil sich dort keine Praxis durchgesetzt hat, wie man das machen sollte. Das zweite Land war dann Frankreich. Die haben daraus schon gelernt und haben gesagt, „photographie retouchée“ soll bitte da draufstehen, auch wieder mit einer Vorgabe an die Größe. „Photographie retoucheée“ ist nun sehr anspruchsvoll, sage ich mal, insbesondere wenn man auf kleinen Screens unterwegs ist. Wenn man sich jetzt zum Beispiel Instagram anschaut, ein Post und das ist auf dem Smartphone vollflächig und dann steht rechts unten in der Ecke „Photographie retouchée“, dann muss man ja schon sehr gute Augen haben, um das zu erkennen. Also man ahnt es eher, dass da was steht, aber da könnte auch alles andere stehen, zum Beispiel ein Copyright Hinweis oder dergleichen. Und daraus wiederum hat Norwegen gelernt und hat ganz ein Icon entworfen, ein Symbol entworfen, das zu verwenden ist. Und auch klare Vorgaben an die Größe gemacht, sodass dort ganz klar ist, in welcher Platzierung, in welcher Ecke ich welches Symbol zu platzieren habe. Und das ist dann auch relativ schnell gelernt worden durch die Verbraucherinnen und Verbraucher, die das gesehen haben. Also da hat man gesehen, dass wenn es um Kennzeichnungen geht, solche ganz klare, konkrete Vorgabe etwas ist, was die Rezipientinnen dann schneller lernen. Kristina Kobrow: Du hattest eben schon gesagt, am Beispiel Norwegen, wenn jetzt andere Länder wie Schweden, wie Finnland oder so weiter, die die Kennzeichnungspflicht nicht haben, dass es da einen Wettbewerbsnachteil gibt oder geben könnte, weil auf den einen Bildern eben ein bestimmtes Zeichen drauf ist und bei den anderen nicht. Und man sich dann fragen könnte, was soll dieses Zeichen eigentlich? Und beeinträchtigt das Bild, die Werbung, den Effekt oder was auch immer? Könnte man nicht aber auch auf der anderen Seite sagen, naja, irgendwer muss anfangen und wir gehen mit gutem Beispiel voran, wenn uns die Kinder und Jugendlichen wichtig sind? Oder würdest du auch sagen, naja, man hat diese Kausalität nicht, das kann man gar nicht sagen? Stephan Dreyer: Also diese Plattformen und auch die Influencerinnen und Influencer sind ja sehr visuell unterwegs und teilweise auch mit einem echten künstlerischen Anspruch. Und dann vom Start sozusagen vorgegeben zu bekommen, dass man ein relativ großes Symbol, was vielleicht von der Form, von der Farbgebung und so überhaupt nicht zu der Fotografie oder zu dem Video, zu der ganzen Ästhetik passt, das ist schon ein starker Eingriff aus der visuellen, ästhetischen Sicht für die. Und deswegen glaube ich, dass man da mit freiwilligen Aktionen nicht besonders weit kommt. Natürlich gibt es InfluencerInnen, die sich zum Markenkern auch gemacht haben, eben unmanipulierte Fotos zu nutzen. Aber dann wird das eher als Alleinstellungsmerkmal herausgestellt, dass man also eher kennzeichnet sozusagen, dass etwas nicht manipuliert ist. Auf der anderen Seite ist es eher, glaube ich, schwierig, das da auf Freiwilligkeit zu setzen bei solchen Sachen. Kristina Kobrow: Das ist jetzt die Seite der ProduzentInnen, die du angesprochen hast. Ich würde gern nochmal zurück auf die KonstumentInnen, also diejenigen, die diese Bilder anschauen, den Kindern und Jugendlichen. Was machen denn solche Kennzeichnungspflichten mit denen? Wirken die überhaupt? Stephan Dreyer: Also wir wissen schon seit vielen Jahrzehnten, dass Transparenz, also Offenlegungspflichten bei Produkten wahnsinnig voraussetzungsvoll sind, bis es zu einer Wirkung auf der Anwenderseite kommt. Also zum Beispiel Warnhinweise auf Zigarettenschachteln oder der gleichen. Da muss schon relativ viel zusammenkommen, damit es tatsächlich zu einer Verhaltensänderung führt. Und wie ich schon sagte, in der Regel geht es um Verhaltensänderung. Hier geht es ja um eine mentale Veränderung, also praktisch das eigene Schönheitsbild zu hinterfragen und nicht mehr so stark abzugleichen mit dem eigenen Körperbild. Und da sagt also die Verhaltensökonomie zum Beispiel, dass das unglaublich voraussetzungsvoll ist, das zu schaffen sozusagen. Und es gibt Studien, die konkret sich solche Kennzeichnungen für manipulierte Fotos angeschaut haben und versucht haben, Medieneffekte dann zu messen. Und die kommen also im besten Fall dazu, dass die Kennzeichnungen mit Blick auf das eigene Körperbild und die Körperzufriedenheit nichts verändern. Das ist also im besten Falle. Im schlechtesten Falle gibt es eben auch Studien, die nachweisen können, dass das offenbar dazu führt, dass man sich noch stärker mit einer Fotografie oder einem Video beschäftigt und guckt, wo könnte das manipuliert sein. Ist da am Gesicht was gemacht, am Hautbild, an der Körpersilhouette? Und das führt offenbar zu einer Art Internalisierung, und einer stärkeren Beschäftigung damit mit dem Abgleich mit dem eigenen Körper und dem eigenen Körperbild, sodass also im schlimmsten Fall Kennzeichnungen dazu führen, dass man unzufriedener wird mit dem eigenen Körper. Also genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen wollte. Und das ist der Punkt in dem Gutachten, wo wir sagen, okay, wenn politisch gewollt ist es möglich, aber eine gute Idee ist es nicht. Jedenfalls nicht dann, wenn wir damit eine höhere Körperzufriedenheit hinbekommen wollen. Und deswegen müssen wir dann sozusagen ja auch nach Alternativen Ausschau halten. Und eine, die wir relativ stark gemacht haben, ist die Frage danach, ob wir an die Empfehlungssysteme von Social Media-Angeboten ran sollten. Also, dass die einzelne schönheitsidealisierende Darstellung vielleicht nicht gleich sich so auf das Körperbild auswirkt, dass man dadurch Schaden nimmt. Aber eine große Vielzahl ähnlicher visueller Inhalte kann möglicherweise stärker auf so eine Entwicklungsbeeinträchtigung einzahlen. Und deswegen ist gerade dieses Aggregieren von so kuratierten Feeds etwas, was das verstärken kann. Und deswegen haben wir gesagt, eine Möglichkeit ist es, den Artikel 28 im DSA hatte ich vorhin schon angesprochen. Also eine Möglichkeit könnte es sein, an die Plattform heranzutreten und zu sagen, eigentlich passiert durch eure Art der Aggregierung und der Filterung und Selektierung passiert da etwas, was schädlich sein kann, insbesondere für junge Nutzerinnen und Nutzer. Also versucht doch mal breitere Schönheitsbilder sozusagen zu empfehlen, dort wo man sonst Gefahr läuft, dass der Algorithmus eben nur noch schönheitsidealisierende Darstellungen rauspickt. Das kann ein Ansatz sein, der bereits jetzt machbar ist, wo im Prinzip die Landesmedienanstalten oder die EU-Kommission bei den großen Plattformanbietern auf die einwirken kann und sagen kann, das könnte eine Maßnahme sein, um eben nicht dieses Risiko möglicherweise zu verstärken, dass es da zu Körperbildstörungen kommt. Kristina Kobrow: Ihr habt dieses Gutachten jetzt an die KJM weitergegeben. Magst du vielleicht abschließend nochmal sagen, was passiert jetzt weiter damit? Stephan Dreyer: Also das Papier ist ja noch heiß von der Druckerpresse sozusagen. Das ist jetzt kurz vor dem Safer Internet Day veröffentlicht worden, das Gutachten. Ich gehe davon aus, dass sich das jetzt die Interessierten zur Zeit durchlesen, zu Gemüte führen. Wir werden durch das Institut jetzt noch ein bisschen weiter auch auf Social Media ein bisschen aus den Inhalten berichten, einzelne Ergebnisse nochmal ein bisschen anteasern. Und ansonsten gehe ich davon aus, dass es zu Gesprächen kommt mit Medienregulierern, mit hoffentlich auch PolitikerInnen, die eine differenzierte Diskussion führen möchten darüber, ob eine Kennzeichnungspflicht sinnvoll erscheint oder nicht und welche Alternativen es gibt. Also da hoffe ich einfach auf ein großes Interesse. Wir werden auch ein bisschen die Fühler ausstrecken in diese Richtung. Kristina Kobrow: Dann danke ich dir für deine Zeit und für die Erläuterung, lieber Stephan. Stephan Dreyer: Gerne. Kristina Kobrow: Und ja, wer mehr über unsere Arbeit am Leibniz-Institut für Medienforschung erfahren möchte, kann uns am besten auf LinkedIn oder auch Threads folgen oder auf unserer Website leibniz-hbi.de vorbeischauen. Kristina Kobrow: In diesem Sinne, bis bald.