BredowCast Nr. 96: Wie kann man die Sicherheit von Kindern im Internet stärken? Kristina Kobrow: Herzlich willkommen beim BredowCast, dem Podcast des Leibniz-Instituts für Medienforschung I Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Mein Name ist Kristina Kobrow, ich darf seit kurzem diesen Podcast hosten und mit Medienforscher*innen über ihre Arbeit sprechen. Und heute soll es um das Projekt „SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“ gehen. Das Projekt hat sich beschäftigt mit wachsenden Sicherheitsgefährdungen durch Online-Interaktionsrisiken und lief jetzt ungefähr drei Jahre, nämlich seit September 2021. Und ich darf heute mit zwei Gästen sprechen, die mir digital zugeschaltet sind. Das sind zum einen Claudia Lampert. Claudia ist Senior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung und sie untersucht, wie Kinder in digitalisierten Medienumgebungen aufwachsen, welche Herausforderungen ihnen begegnen und welche Unterstützung sie benötigen. Und dann ist mir auch zugeschaltet Jan Pfetsch. Jan, du bist aus Berlin zugeschaltet, ist das richtig? Jan Pfetsch: Genau. Kristina Kobrow: Genau, du bist Privatdozent und freier Forscher an der Technischen Universität Berlin im Fachgebiet pädagogische Psychologie. Und zu deinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem Online-Interaktionsrisiken sowie Zivilcourage und prosoziales Verhalten. Schön, dass ihr beide heute da seid. Claudia Lampert und Jan Pfetsch: Wir freuen uns. Kristina Kobrow: Ja, wir wollen heute über das Projekt „SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“ sprechen. Und zum einen wollen wir sprechen über den Kompass. Der Kompass ist gewissermaßen der Abschluss eures Projekts gewesen. Er ist am 20. November erschienen, dem Internationalen Tag der Kinderrechte. Und zum anderen wollen wir aber auch und vor allem über eure beiden Teilprojekte sprechen. Denn das kann ich ja vielleicht vorweg noch einmal sagen, das Projekt war ein Verbundprojekt. Es gab insgesamt vier verschiedene Teilprojekte mit ganz verschiedenen interdisziplinären Ansätzen und Perspektiven. Da gab es zum Beispiel zum einen die ethische Perspektive. Da war das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Uni Tübingen federführend zuständig. Dann gab es die rechtliche Perspektive. Da waren unsere, Claudia, Kollegen Sünje Andresen und Stephan Dreyer am Leibniz-Institut für Medienforschung mit befasst. Und dann gab es eben einmal die psychologische Perspektive, über die du, Jan, heute mehr erzählen wirst. Und es gab die kommunikationswissenschaftliche Perspektive, über die du, Claudia, heute mehr berichten kannst. Bevor wir jetzt aber einsteigen mit den Teilprojekten, würde ich vielleicht gerne nochmal am Anfang ein paar Fragen stellen zu dem Projekt insgesamt. Warum brauchte es dieses Projekt denn insgesamt? Vielleicht magst du, Claudia, darauf antworten. Claudia Lampert: Das Projekt brauchte es, weil es eigentlich die Weiterführung war von verschiedenen Studien, die wir schon seit Jahren in dem Bereich durchführen, die sich mit den Herausforderungen von digitalen Medien befassen und wie Kinder und Jugendliche damit umgehen. Und in dem Projekt haben wir uns insbesondere mit Interaktionsrisiken auseinandergesetzt. Also beispielsweise Phänomene wie Cybermobbing, Hate Speech oder auch sexuelle Grenzverletzungen. Und damit mit einem sehr spezifischen Risikobereich, der auch schon in anderen Studien mit berücksichtigt wurde. Aber wir haben eben gesehen, dass diese Art von Risiken einfach in den letzten Jahren zugenommen haben und Kinder und Jugendliche nochmal vor besondere Herausforderungen stellen. Und ja, aus der Perspektive der Sicherheitsforschung stand eben auch an, wenn sich gerade dieses Themenfeld, die digitale Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen nochmal spezifischer anzuschauen. Kristina Kobrow: Du hast jetzt von Kindern und Jugendlichen gesprochen. In dem Projekttitel selber steht ja drin, Sicherheit von Kindern in der digitalen Welt. Deswegen Jan, vielleicht an dich: Wen habt ihr denn im Blick gehabt? Also wenn ihr hier von Kindern oder von Kindern und Jugendlichen sprecht und was meint ihr konkret mit Sicherheit? Jan Pfetsch: Ja, also der Begriff Kinder ist gemeint im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention aller Personen unter 18. Also Kinder und Jugendliche würde ich aus entwicklungspsychologischer Sicht sagen. Und das Wichtige ist, dass es da natürlich auch schon wieder große Unterschiede gibt. Vielleicht zwischen denjenigen, die beginnen Medien zu nutzen und solchen, die das vielleicht schon sehr routiniert und jahrelang tun. Und jetzt habe ich die zweite Frage vergessen. Kristina Kobrow: Ich kann ja vielleicht aber auch nochmal einhaken, wenn du jetzt sagst, die, die beginnen Medien zu nutzen, an wen denkst du da? Fängt das wirklich, also das fängt ja nicht bei null Jahren an, fängt das bei fünf Jahren an oder ab sechs Jahren oder was ist so der Einstieg? Jan Pfetsch: Naja, die Mediensozialisation findet ja in der Familie zumeist statt. Erster Kontakt ist eben über die Eltern oder die größeren Geschwister, die vielleicht Medien nutzen. Die Mediennutzung wird immer früher. Ich glaube nicht, dass wir ausschließen können, dass nicht auch schon Ein- oder Zweijährige auf ein Tablet schauen und Oma winken oder das Handy in die Hand bekommen, damit sie eben eine Weile lang still sind. Also das könnte schon sehr früh losgehen. Aber wenn wir über Online-Interaktionsrisiken sprechen, ist natürlich eher die selbstständige Mediennutzung interessant. Und dafür braucht es nicht nur Bedienfähigkeiten, sondern eben auch Schriftsprache. Und insofern ist eigentlich das Grundschulalter ein wichtiges Einstiegsalter. Claudia Lampert: Vielleicht können wir da noch ergänzen, dass wir uns in dem Projekt aber dann entschieden haben, uns auf die 12- bis 17-Jährigen zu fokussieren. Einfach weil wir sonst unterschiedliche empirische Zugänge auch gebraucht hätten. Weil die Grundschulkinder, das stimmt, wir müssten eigentlich noch mehr auf die jüngeren Zielgruppen schauen. Aber da braucht es nochmal sehr besondere, altersgerechte Zugänge und deswegen haben wir uns so für die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen entschieden. Kristina Kobrow: Die zweite Frage, die ich vorher gestellt hatte, war auch nochmal eine Begriffsklärungsfrage, nämlich die der Sicherheit. Was meint ihr mit „Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“? Weil ich mir irgendwie auch gedacht habe, vielleicht klingt das aber auch so ein bisschen krumm, wenn ich als Kind, als Jugendlicher, als Heranwachsender, wie auch immer ich das jetzt bezeichnen möchte, eine verletzende, beleidigende Äußerung schreibe oder poste, dann muss ich mich doch eigentlich sicher fühlen im Digitalen, oder? Also diese Scheinsicherheit ist doch vermutlich gegeben, damit sowas überhaupt entsteht. Was meint ihr, wenn ihr jetzt von Sicherheit im Digitalen sprecht? Claudia Lampert: Ich finde, es ist eine interessante Perspektive, die du da gerade einnimmst. Also dass sich eine Person in Sicherheit wähnen muss, damit sie quasi andere Personen mitunter schädigen kann oder Dinge tun kann, weil sie denkt, naja, das kriegt keiner mit. Wir haben da ein bisschen eine andere Perspektive. Also wir gehen eigentlich eher so von den Entwicklungen aus, die der gesamte mediale Wandel mit sich gebracht hat. Vor allen Dingen eben auch die Tatsache, dass die interaktiven Angebote zugenommen haben und damit auch die Möglichkeiten von anderen kontaktiert zu werden beispielsweise, ohne dass ich das möchte. Und das ist verbunden eben auch noch mit der Zunahme auch von User-generated Content oder auch KI-generiertem Content. Das kommt ja eben auch, dass dadurch eben neue Risiken bestehen, die eben auch die Sicherheit in dem Fall von Kindern und Jugendlichen gefährdet. Das Besondere eben in unserem Zusammenhang ist ja eben auch, dass das in Kontexten oder auf Plattformen stattfindet, die von Kindern gerne genutzt werden und wo sie sich mitunter auch in Sicherheit wähnen, so wie du es beschrieben hast, zum Beispiel auf Gaming-Plattformen oder auch auf sozialen Netzwerk-Plattformen und wo sie mitunter recht unvermittelt dann auch mit solchen Interaktionsrisiken in Berührung kommen und so gesehen dann auch das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt wird. Also das ist so unser Verständnis von Sicherheit. Kristina Kobrow: In dem Kompass ist dann auch später zu lesen, dass Sicherheit eigentlich einen Dreiklang impliziert, nämlich aus Schutz, Teilhabe und Befähigung. Jan, vielleicht kannst du noch etwas zu diesen Begriffen sagen, weil, gibt es da nicht auch Zielkonflikte, also ja mindestens vielleicht zwischen Schutz und Befähigung? Wie passen die Begriffe zusammen? Jan Pfetsch: Ja, also die Idee ist nach den Kinderrechten eben diese drei Aspekte zusammenzudenken und Kinder und Jugendliche, die sich entwickeln und entsprechende Fähigkeiten auch teils erst aufbauen, dass die eigentlich vor beispielsweise Interaktionsrisiken geschützt werden. Das wäre dann so die Perspektive, die der Kinder- und Jugendmedienschutz eine lange Zeit hatte und dann werden vielleicht Internetseiten gesperrt oder Angebote indiziert und sozusagen aus dem Zugriff von Kinder- und Jugendlichen verbannt. Also das wäre dieser Schutzaspekt. Und dann ist es aber so, dass Kinder und Jugendliche auch ein Recht auf Teilhabe haben, gesellschaftliche Teilhabe, auch Nutzung von digitalen Medien, Kommunikationsplattformen etc. Und um diese Teilhabe sicherzustellen und auch in unbeschwerter Form umsetzen zu können, sind eben Befähigungsangebote ein wichtiger Schritt, Kinder und Jugendliche als aktive Nutzerinnen und Nutzer von Medien auch zu stärken und ihre Fähigkeit auch mit Sicherheitsgefährdung, wie es in der Projektsprache heißt, gut umzugehen. Also wenn sie auf Dinge treffen, die sie verängstigen, verunsichern, empfindlich treffen. Und es gibt natürlich viele Zielkonflikte, weil die Frage immer ist, wie weit sind die Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung, in ihren Fähigkeiten, wie befähigt sind sie schon, an welcher Stelle muss man sie schützen im Sinne ihrer eigenen Interessen? Ist ein Schutz aber nicht auch vielleicht bevormundend an mancher Stelle und schneidet dann bestimmte Bereiche der Teilhabe wieder ab? Also da gibt es sicherlich immer ein Gleichgewicht, das zu finden ist und was sich eben teils nicht unbedingt an festen Altersgrenzen dann bestimmen lässt, sondern wo es vielleicht wichtig ist, auch auf die individuellen Fähigkeiten, Ressourcen und Potenziale der Kinder und Jugendlichen zu schauen. Kristina Kobrow: Vielleicht noch mal ganz generell gesagt, ich habe auch auf der Projektseite der Uni Tübingen gelesen, dass tatsächlich mittlerweile ein Drittel der Internetnutzenden Kinder und Jugendliche sind, also Personen unter 18 Jahre. Das heißt, wir sprechen nicht über einen kleinen Kreis an Menschen, sondern wirklich über eine ganz große Zahl. Dann würde ich gerne zu euren Teilprojekten kommen. Ihr habt euch beide eben aus unterschiedlichen Perspektiven genähert, habt Erfahrungen von Heranwachsenden in Online-Interaktionskontexten untersucht und dann geschaut, welche Interaktionen als belastend wahrgenommen werden. Claudia, vielleicht möchtest du beginnen und einmal erzählen, welche Schwerpunkte dann dein Teilprojekt hatte und welche Ziele es bei euch gab. Es war ja nicht nur du an dem Projekt beteiligt. Claudia Lampert: Das ist richtig. Meine Kollegin Kira Thiel und ich waren verantwortlich für das sozialwissenschaftliche Teilprojekt bei uns am HBI. Wir haben uns vor allen Dingen damit beschäftigt, welche negativen und belastenden Online-Erfahrungen Kinder und Jugendliche machen und vor allen Dingen auch, wie sie damit umgehen oder wo sie vielleicht ein bisschen strugglen. Wir haben dazu qualitativ Interviews durchgeführt mit Jugendlichen, die zwischen zwölf und siebzehn Jahren alt waren und haben sie eben danach gefragt, wie ihre Online-Nutzung aussieht, welche Art von belastenden Erfahrungen sie gemacht haben und wollten auch der Frage nachgehen, was sie über Handlungsstrategien wissen und inwieweit sie was über institutionelle Unterstützungsmöglichkeiten auch wissen. Kristina Kobrow: Ihr habt 16 Jugendliche, glaube ich, befragt? Claudia Lampert: Genau, es waren insgesamt 16 Jugendliche aus Hamburg, neun Jungen und sieben Mädchen. Kristina Kobrow: Jan, wie sah das bei dir aus bei deinem Projekt? Wer war da noch beteiligt und welche Schwerpunkte und Ziele gab es da? Jan Pfetsch: Gemeinsam mit Felix Paschel haben wir die Perspektive der Psychologie mit eingebracht und in Teilen war auch noch Professorin Maria von Salisch von der Leuphana Universität Lüneburg mit eingebunden und wir haben einen Dreischritt gemacht. Einerseits auf den Forschungsstand geschaut zu Online-Interaktionsrisiken und den mit verschiedenen Entwicklungsphasen abgeglichen. Dann haben wir Jugendliche mit Gruppendiskussionen befragt zu eben solchen Interaktionsrisiken wie Cybermobbing, Online-Hate-Speech und non-konsensualem Sexting. Und dann haben wir noch ein Präventionsangebot entwickelt, Fairnetzt, solche Workshops zur Förderung von digitaler Zivilcourage. Kristina Kobrow: Da kommen wir auf jeden Fall noch hin. Kannst du vielleicht die Begriffe nochmal erläutern? Wenn du von non-konsensualem Sexting sprichst, was meinst du damit? Und vielleicht kannst du auch nochmal auf andere Gefahren eingehen wie Cybergrooming oder Cybermobbing. Cybermobbing werden wahrscheinlich die meisten kennen, aber dass wir die Begriffe vielleicht noch einmal klargestellt haben. Jan Pfetsch: Ja, gerne. Also tatsächlich ist es, glaube ich, wichtig, dass am Beispiel von Sexting lässt sich ganz gut verdeutlichen, dass es da wichtig ist zu klären, worüber man spricht. Sexting bezeichnet hauptsächlich den Austausch von Bild- oder Textmaterial, vielleicht auch Videos, das selbst generiert ist und zum Beispiel den eigenen Körper teils nackt oder ganz nackt zeigt. Und in der Forschung dazu werden unterschiedliche Formen unterschieden. Und wenn es einvernehmlich geschieht zwischen zwei Personen, die sich da auch im Klaren darüber sind, dass sie einander vertrauen und dass sozusagen die Bilder beieinander behalten werden, dann würden wir das als sozusagen nicht problematisch ansehen. Wenn hingegen dann das Vertrauen gebrochen wird und Bildmaterial weitergeleitet wird, gezeigt wird, gepostet wird, das wäre das nonkonsensuale oder das nicht einvernehmliche Sexting. Und ein anderer Aspekt könnte eben sein, dass man auch Personen Bildmaterial schickt, die es gar nicht wollen und das als unangenehm empfinden oder jemand unter Druck setzt, solches Bildmaterial zu erstellen und einem zu schicken. Also durch mehr oder weniger subtilen Druck eben solches Material auch erpresst. Und das wäre, also dieses nonkonsensuale Sexting. Cybermobbing, wäre aggressives Verhalten wie Beleidigungen, Herabwürdigung, das Bloßstellen von anderen über digitale Medien. Und da wird immer diskutiert, muss das wiederholt sein? Gibt es ein Machtungleichgewicht, so wie offline bei Mobbing auch? Die Diskussion geht eher dahin, dass sozusagen bei manchen Formen eine Wiederholung da sein muss, wie eine Wiederholung wäre vielleicht noch nicht Cybermobbing, wenn sich das aber gezielt über einen längeren Zeitraum an eine Person richtet, dass das dann eben unter Cybermobbing fällt. Online-Hatespeech haben wir noch betrachtet, was Gruppen oder Personen oder Gruppen herabwürdigt und diskriminiert, aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit. Also wenn Personen, weil sie ein bestimmtes Geschlecht haben, eine sexuelle Orientierung, eine Religion, eine ethnische Herkunft und so weiter, angegriffen werden, herabgewürdigt werden, dann wäre das eben Hatespeech. Und Cybergrooming als dann weiteres Interaktionsrisiko wäre der Versuch, eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, die dann für sexuelle Grenzverletzungen missbraucht wird. Und es ist zwar häufig so die Vorstellung, dass das ältere erwachsene Männer mit jüngeren Mädchen tun, dass sowohl Geschlecht als auch Alter kann, aber sozusagen variieren, weshalb es auch so sein könnte, dass beispielsweise jetzt ähnlich alte oder sozusagen nur leicht ältere Jugendliche, andere Jugendliche da angreifen oder darüber sozusagen zum Opfer von Cybergrooming werden lassen. Kristina Kobrow: Danke dir, da wären wir direkt schon bei den Ergebnissen. Ihr habt zwar am Anfang, du hast es, glaube ich, Claudia gesagt, mit der Gruppe 12 bis 17 Jahre befasst. Wenn ich richtig informiert bin, Jan, korrigiere mich gerne, wenn das doch falsch ist, hast du ja aber auch aus der psychologischen Perspektive geschaut, wie entwickeln sich bestimmte Gefahren in unterschiedlichen Altersgruppen? Vielleicht kannst du da nochmal ein bisschen erläutern, welche Gefahren in welcher Altersgruppe tatsächlich vorgekommen sind und was vielleicht noch sonst zentrale Ergebnisse in deinem Projekt waren. Jan Pfetsch: Ja, also aus diesem Blick der Entwicklungspsychologie heraus haben wir die Frage gestellt, wie Online-Interaktionsrisiken in verschiedenen Entwicklungsaltern auch auftreten und welche Formen da besonders relevant sind. Und ein Aspekt in eher jüngeren Jahren, vielleicht 0 bis 5, wäre, da findet noch nicht so viel eigenständige Interaktion, Kommunikation über digitale Medien statt. Meistens ist das über Eltern vermittelt und ein Risiko, was auftreten könnte, wäre dann Sharenting, dass Eltern beispielsweise Dinge über ihre Kinder posten, was dann eben genutzt werden kann, entweder zu dem Zeitpunkt oder später auch als Anlass für Cybermobbing oder andere Dinge. Wir haben dann die mittlere Kindheit in den Blick genommen mit 6 bis 10 Jahren, wo eben tatsächlich der Schriftspracherwerb, die kognitiven Fähigkeiten sich weiterentwickeln, wo die Gleichaltrigen, die Peers auch eine größere Rolle spielen in der Sozialisation der Mediennutzung und wo erste Interaktion, Kommunikation auch stattfindet. Und es gibt Statistiken, die zeigen, dass in der Altersgruppe der 8 bis 10-Jährigen beispielsweise Cybergrooming als ein Risiko tatsächlich in den letzten Jahren zugenommen hat. Wir haben dieses Interaktionsrisiko auch in älteren Jahrgängen und da tritt es auch häufiger auf, aber eben in der mittleren Kindheit ist das auch schon ein Thema. Cybermobbing spielt dann häufig in der frühen Adoleszenz eine Rolle, also so etwa 11 bis 14 Jahre, weil Statistiken zeigen, dass da eine hohe Prävalenz in der Altersgruppe auftritt und dann in der späten Adoleszenz, so 15 bis 18 Jahren, gibt es natürlich auch Cybermobbing, auch Cybergrooming, aber Online-Interaktionsrisiken wie non-konsensuales Sexting oder Online-Hate Speech nehmen da auch noch mal zu, weil dann auch klarer ist beispielsweise, dass bestimmte Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit angegriffen oder herabgewürdigt werden können und dass das sehr verletzend sein kann, wenn man aufgrund von Merkmalen, die einem möglicherweise nur zugeschrieben sind oder die man auch gar nicht selbst ändern kann, angegriffen und beleidigt wird. Also das ist so ein Teilergebnis, das in einem Buch, das im Januar 2025 erscheinen wird, auch noch mal sehr viel ausführlicher dargestellt wird. Kristina Kobrow: Vielen Dank. Ich würde direkt überleiten auf dich, Claudia, denn ich denke, dass genau die Gefahren sicherlich auch in deinem Projekt eine Rolle gespielt haben und dass die Jugendlichen genau davon gesprochen haben. Was sind denn Strategien bei den Jugendlichen gewesen? Was habt ihr da erfahren? Wie gehen die mit diesen Gefährdungen um? Wenden die sich an andere Personen, an die Polizei, an andere Meldestellen? Was habt ihr da rausgefunden? Claudia Lampert: Erstmal kann ich vielleicht noch sagen, was bei uns wirklich interessant war, war genauer reinzuzoomen und zu gucken, was ist denn eigentlich für die Kinder und Jugendlichen belastend bzw. wie nehmen sie solche Interaktionsrisiken, wie Jan sie gerade beschrieben hat, eigentlich wahr? Und das war noch mal sehr beeindruckend zu sehen, auch wenn es eigentlich naheliegend ist, dass erstmal die Online-Erfahrung und auch die Erfahrung mit belastenden Situationen ganz stark davon abhängig ist, was Kinder und Jugendliche eigentlich an digitalen Medien nutzen. Und das müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Mediennutzung sehr, sehr unterschiedlich aussieht, weil die auf sehr unterschiedlichen Plattformen unterwegs sind, unterschiedliche Dinge auf den Plattformen tun und auch mit einer unterschiedlichen Intensität. Also es hängt sehr stark davon ab, was für Nutzungsgewohnheiten, Nutzungspraktiken die Heranwachsenden haben. Kristina Kobrow: Wenn du schon von Plattformen sprichst, welche Plattformen meinst du damit? Claudia Lampert: Naja, wir haben natürlich die Jugendlichen dabei, die auf den gängigen Plattformen wie Instagram, TikTok und Snapchat unterwegs sind, beispielsweise sind so die häufigsten, aber eben auch Spieleplattformen, wo sie mitunter auch mit problematischen Situationen konfrontiert werden. Also es ist eben ein sehr buntes Spektrum. Also die sind nicht nur auf unterschiedlichen Plattformen unterwegs, sondern sie nutzen diese Plattformen oder die Funktionen von den Plattformen auch in sehr unterschiedlicher Weise. Also manche nutzen eher, keine Ahnung, die Chatfunktion, andere nutzen das, um einfach nur zu gucken, was andere machen. Wieder andere sind auch aktiv unterwegs und posten selber Inhalte, was ja auch nochmal ein gewisses Risiko in sich birgt, zum Beispiel, dass man selber Hasskommentare dann bekommt auf das, was man postet oder deswegen auch Form von Cybermobbing dann erlebt. Aber das war nochmal wirklich sehr deutlich zu sehen, dass wir genauer hinschauen müssen, was die Jugendlichen eigentlich online tun. Und dann war es auch bemerkenswert zu sehen, dass das unterschiedliche Emotionen bei den Jugendlichen auslöst, wenn sie mit das Negativen konfrontiert werden. Und das reicht tatsächlich so von einem diffusen Gefühl von genervt sein. „Jetzt krieg ich schon wieder so ein Nacktfoto dazu geschickt“ oder so. Bis hin tatsächlich zu einem sehr starken Belastungserleben, wo wir dann ja auch aus anderen Fällen wissen, dass das wirklich auch sehr gravierende psychische Folgen mit sich bringen kann, weil den Jugendlichen das eben sehr nahe geht und sie mitunter eben auch keinen Weg finden, um damit umzugehen. Und wir haben aus unseren Interviews eben dann auch eine Reihe an Faktoren rausziehen können, die halt Einfluss darauf nehmen, wie Jugendliche eigentlich bestimmte Situationen wahrnehmen. Also in welcher Öffentlichkeit findet das eigentlich statt? Weil es macht einen Unterschied aus, ob etwas in einer kleinen, geschlossenen Gruppe stattfindet oder auf einer großen Plattform oder die ganze Schulöffentlichkeit davon mitbekommt. Beispielsweise der Grad der Einvernehmlichkeit spielt eine Rolle, aber eben auch sowas wie die Unmittelbarkeit. Also gehe ich auf eine Plattform und rechne auch schon so ein bisschen damit, dass mir sowas da passiert oder entgegenschlägt oder denke ich eigentlich, nee, ich bin hier zum Spielen da und bin dann noch so erschütterter, wenn ich dann plötzlich auf einer Spieleplattform von irgendjemandem, den ich nicht kenne, mit Nacktbildern oder Anzüglichkeiten konfrontiert werde. Also das sind so Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie Jugendliche das erleben. Wir haben uns darüber hinaus eben auch angeguckt, wie die Jugendlichen dann mit den verschiedenen Belastungssituationen umgehen. Und das war sehr spannend zu sehen, dass es doch einen Unterschied ausmacht, wie erfahren die Jugendlichen eigentlich sind und wie weit sie auf Bewältigungsstrategien zurückgreifen können. Sei es, dass sie wissen, dass man bestimmte Dinge blockieren kann oder dass man auch bestimmte Sachen melden kann. Also da haben sich die Jugendlichen schon auch unterschieden von ihrem Erfahrungswissen her. Und was wir auch gesehen haben, ist, dass die Jugendlichen eigentlich im Allgemeinen versuchen, erst mal mit den Erlebnissen so selbst klarzukommen und das selber in den Griff zu kriegen. Und erst wenn sie daran scheitern und merken, es geht jetzt einen Schritt zu weit, dann erst wenden sie sich eigentlich an nahestehende Personen, meistens irgendwie Vertrauenspersonen aus dem persönlichen Umfeld, zum Beispiel Familie oder Freunde oder eben auch, wenn es um Cybermobbing geht, dann an Lehrkräfte. Und erst dann, wenn auch das soziale Umfeld, engere soziale Umfeld nicht weiterhelfen kann, dann wenden sie sich überhaupt erst an professionelle Stellen. Also es ist wie so eine, wir haben es als Coping-Kaskade beschrieben. Also es muss ziemlich viel vorher schon passiert sein, bevor sie sich dann an professionelle Stellen wenden. Kristina Kobrow: Du hast jetzt aus der Sicht der Betroffenen das geschildert, Claudia. Und du, Jan, hast ja in dem Teilprojekt, in deinem Teilprojekt, die Sicht der Bystander nochmal untersucht. Und Bystander, vielleicht kannst du das nochmal erläutern, was das genau meint? Sind das nur die stillen Mitleser, wie sie auch genannt werden? Oder ist das eigentlich mehr? Und was für eine Bedeutung kommt diesen Bystandern eigentlich zu? Jan Pfetsch: Ja, genau. Der Blick auf die Bystander, auf die Personen, die solche Vorfälle mitbekommen, aber nicht direkt involviert sind zunächst einmal, den finde ich ganz interessant, weil es ja Situationen gibt, wo man online ist und sieht, da ist irgendwie eine Diskussion im Gange. Der Ton ist da so ein bisschen rau. Was ist denn da los? Und hat aber vielleicht den Eindruck, na ja, das ist ja jetzt nicht meine Sache. Da geht mich erst mal nichts an. Oder es könnte auch sein, dass jemand ins Vertrauen gezogen wird von jemandem, der betroffen ist. Also der Freund, die Freundin erzählt, ich habe hier so blöde Nachrichten bekommen. Schau mal, was soll ich denn da machen? Also kann schon online oder offline sein, wo man solche Situationen mitbekommt. Und es gibt eine relativ große Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die eben solche Vorfälle mitbekommen, aber gar nicht selbst involviert sind. Die Zahlen schwanken je nachdem, wie man das erfasst. Aber also so zwischen 50 und 95 Prozent der Jugendlichen geben an, solche Vorfälle mitbekommen zu haben. Und dann können sie sich natürlich entscheiden, wie sie sich verhalten. Also halten sich raus als sogenannte Außenstehende. Finden sie es vielleicht sogar ganz lustig und geben Like oder senden irgendwie was weiter. Als sogenannte Verstärkende. Oder setzen sie sich für die Betroffenen ein und versuchen, entweder die zu bestärken, ermutigen, zu trösten, für sie da zu sein. Oder greifen auch ein, um den Vorfall zu stoppen, zu deeskalieren. Das wäre die Gruppe der sogenannten Verteidigenden. Genau. Und wir haben Gruppendiskussionen zu dieser Bystander-Perspektive durchgeführt. Wir haben in acht Gruppen mit 47 Jugendlichen diskutiert, haben jeweils eine typische Situation als Anfangsstimulus genommen und dann darüber diskutiert, ist Ihnen sowas auch schon begegnet? Wie verhalten Sie sich typischerweise in solchen Situationen? Wie könnte man sich sonst noch verhalten? Und haben das auch qualitativ dann ausgewertet mit der Grounded Theory. Und ich glaube, es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wie groß auch die Hürden sein können, in solchen Situationen einzugreifen und aktiv zu werden. Weil es teils sehr komplexe, nicht so leicht einschätzbare Situationen sind. Wenn man erst später dazu bekommt und einen Einblick bekommt, was eigentlich da vorgefallen ist. Vielleicht denkt man, na ja, vielleicht gibt es eine Vorgeschichte und dann setze ich mich hier für jemanden ein, der aber das Ganze angefacht hat. Also es ist manchmal gar nicht so leicht zu verstehen, worum geht das? Natürlich spielt auch die Befürchtung eine Rolle. Ja, wenn ich da jetzt was sage, werde ich dann vielleicht auch angegriffen. Eine eigene Viktimisierung könnte ein Grund sein, eher passiv zu bleiben. Oder man hat den Eindruck, na wieso? Hier in dem Videospiel oder auf der Plattform, wo ich bin, das ist der normale Umgangston. Das geht eben ein bisschen rauer zu. Das ist nicht so sozusagen das, was tatsächlich mein Handeln erfordert. Oder man kann Befürchtungen haben, ja, wenn ich was tue, mache ich mich dann nicht lächerlich. Vielleicht mache ich was, was übertrieben ist. Oder wo andere mich dann auslachen. Und auch die Frage, kann ich überhaupt was erreichen? So ein Gefühl der Machtlosigkeit. Das war auch was, was Jugendliche berichten, dass sie den Eindruck haben, okay, bei Online-Hate-Speech kennen sie die Personen nicht direkt, die sowas schreibt oder der andere angreift. Hat man die überhaupt überzeugt mit Argumenten? Wie kann man das machen? Lohnt es sich überhaupt, bestimmte Dinge zu melden bei Plattformen? Geschieht da was? Man bekommt ja keine Rückmeldung. Also so der Eindruck, da kommt keine Reaktion. Also ist die Aktion auch überflüssig. Also das wären alles mögliche Hürden. Und auf der anderen Seite haben die Jugendlichen berichtet, dass es bestimmte Situationen, Konstellationen gibt, die es ihnen leichter machen, auch als Bystander aktiv einzugreifen. Also wenn sie die Betroffenen kennen und da eine positive Beziehung schon besteht, dann steigt die Wahrscheinlichkeit. Das ist klar. Aber auch, dass man überhaupt für Themen sensibilisiert ist, sich bewusst ist, was ist eigentlich Online-Hate-Speech beispielsweise. Und wenn dafür ein Wissen da ist, eine Definition, hilft da manchmal auch zu entscheiden, okay, ja, hier wird jemand aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit beispielsweise angegriffen. Dann kann das eben ein wichtiger Schritt sein, einzugreifen. Und klar, wenn es verschiedene Handlungsoptionen gibt, wie man jemanden unterstützen kann, das ist ein sehr wichtiger Punkt, sich bewusst zu sein, welche Handlungsmöglichkeiten habe ich eigentlich. Also vielleicht kann ich mich direkt an den oder die Betroffene wenden und mal fragen, du, ich habe das gerade gesehen, wie geht es dir damit? Kann ich irgendwas tun? Vielleicht kann man sich auch an andere Bystander wenden. Ich sehe gerade, was hier läuft, das gefällt mir nicht. Ich habe den Eindruck, da wird jemand angegriffen, fertig gemacht. Sollen wir nicht gemeinsam was dagegen unternehmen? Und auch diese Frage, wann ist eigentlich eine Aktion erfolgreich? Das ist auch ein wichtiger Punkt, weil vielleicht das schöne Ziel, jemanden, der Hate-Speech oder Cybermobbing oder non-konsensuales Sexting ausübt, den zu stoppen. Und das ist sozusagen komplett aufhören. Das, denke ich, ist so die Vorstellung, dann ist das erfolgreich. Aber es kann ja auch schon erfolgreich sein, wenn man sagt, nein, ich bin nicht einverstanden. Dass hier keiner was sagt, heißt nicht, wir befürworten das. Und dass man eben die Norm oder die Werte, die einem wichtig sind, auch bestärkt und sich für ein faires Miteinander einsetzt. Das kann unheimlich wertvoll sein, auch für die Betroffenen. Zu wissen, ich bin hier nicht allein, da steht jemand mir bei. Und entsprechend ist es eben etwas, wo eine Unterstützung sehr wichtig ist. Und wo auch, wenn mehrere Bystander aktiv werden, sehr hilfreich sein kann für die Betroffenen. Und eben zu wissen, ja, da unterstützt mich jemand. Claudia Lampert: Aber das ist tatsächlich gar nicht mal nur ein Punkt für die Bystander, sondern auch für alle Betroffenen eigentlich, auch in der Rolle als Betroffene selbst. Aber ich würde das wirklich nochmal deutlich unterstreichen wollen, dass es so wichtig ist, die Kinder und Jugendlichen dafür zu sensibilisieren, was da eigentlich passiert und auch, welche Rechte sie im digitalen Raum haben und inwieweit die verletzt werden und welche Möglichkeiten sie dann haben, um sich da auch gegen zu wehren oder sich da Unterstützung zu holen. Und auch gleichzeitig sie dafür zu sensibilisieren für so ein gewisses Unrechtsbewusstsein, was vielfach eben in sozialen Medien stattfindet, damit sie auch befähigt werden, dann entsprechend handeln zu können. Ob als Betroffener oder eben auch als Bystander. Kristina Kobrow: Also das ist ja wirklich Teil der Befähigung, zu zeigen, das darf sein, das darf nicht sein, das ist okay, das ist nicht okay. Jan, ich möchte dich gerne nochmal fragen. Du hast das Bildungsprogramm eben, glaube ich, schon mal angesprochen, nämlich das Programm Fairnetzt. Und Fairnetzt schreibt sich F-A-I-R-netzt. Und bei diesem Programm geht es ja genau um die Bystander. Und ihr möchtet eben die Bystander, also Personen, Jugendliche, ihnen diese Handlungsoptionen zeigen und ihnen sozusagen vieles mit an die Hand geben. Kannst du da nochmal erläutern, genau wie ihr dieses Programm entwickelt habt und vor allen Dingen auch, wie es jetzt mit diesem Programm eigentlich weitergeht? Jan Pfetsch: Ja, Fairnetzt ist eben entstanden aufgrund des Überblicks über den Forschungsstand und unseren Gruppendiskussionen und den Ergebnissen auch, und den Claudia berichtet hat, wie wichtig eigentlich ein aktives Unterstützen der Betroffenen ist. Und Fairnetzt ist ein Bildungsprogramm, was in der Schule oder auch in der außerschulischen Jugendarbeit eingesetzt werden kann. Es ist modular aufgebaut. Es gibt neun, so anderthalb-Stunden-Einheiten, die man umsetzen kann. Und das Ziel wäre, dass eben Gruppen von Jugendlichen daran teilnehmen, über ihre eigene Mediennutzung reflektieren, dass sie auch sensibilisiert werden für eben solche Online-Interaktionsrisiken wie Cybermobbing, Hatespeech, nonkonsensuales Sexting und dann überlegen, wie wollen wir eigentlich online miteinander umgehen? Was ist uns wichtig? Welche Werte, welche Normen wollen wir da erreichen und umsetzen? Und entsprechend auch verschiedene Strategien an die Hand bekommen, wie sie sich verhalten können. Also es muss ja gar nicht immer die öffentliche Reaktion sein, die an die ausübende Person gerichtet ist, wie ich das vorhin gesagt hatte. Vielleicht ist auch erst mal eine nicht öffentliche Reaktion für die betroffene Person oder an andere Bystander gerichtet möglich. Vielleicht ist es eben aber auch hilfreich. Man meldet bestimmte Dinge. Es gibt viele verschiedene Wege und die werden alle besprochen in diesem Programm. Und es ist ein sehr interaktiver Zugang. Also wir versuchen das nicht sozusagen als reine Wissensvermittlung umzusetzen, sondern es gibt viele verschiedene Übungen, Gruppenarbeiten. Es gibt Rollenspiele, um das zu üben. Verschiedene Wege, sich mit diesen Inhalten auseinanderzusetzen und da auch nicht nur mehr Wissen anzueignen, sondern auch Handlungskompetenzen und Selbstwirksamkeit, um als Bystander eben diese verschiedenen Hürden, die auftreten können, auch überwinden zu können. Ja, und es ist gedacht für Jugendliche zwischen 12 und 18. Es kann sozusagen frei eingesetzt werden. Wir haben die Materialien gerade diese Woche veröffentlicht und sind ganz froh, dass sie jetzt frei zugänglich sind auf PsychArchives. Und die Materialien wurden auch erprobt. Wir haben die an verschiedenen Schulen mit unterschiedlichen Altersgruppen ausprobiert, um Erfahrung zu sammeln. Haben die Materialien auch nochmal überarbeitet, angepasst. Wir haben eine Validierung durchgeführt mit Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften, die die Materialien mal genau unter die Lupe genommen haben. Ist das etwas, was gut funktioniert, was gut verständlich ist? Die Anleitung, alles ist sozusagen reflektiert. Und deshalb sind wir ganz froh, dass dieses Programm jetzt fertig ist. Leider ist sozusagen SIKID, das Projekt, auch jetzt fast zu Ende. Und eine Evaluationsstudie, die wir gerne noch durchführen möchten, die ist in Planung. Das wäre dann vielleicht die nächste Förderphase, wo wir das auch nochmal empirisch untersuchen können. Bislang gibt es sehr positive Rückmeldungen, sowohl von Lehrkräften als auch von Jugendlichen, die es umgesetzt haben. Teils wollten sie die Rollenspiele nochmal machen, weil es so Spaß gemacht hat. Und dann in anderen Rollen das nochmal ausprobieren. Wir sind ganz optimistisch, dass das Materialien sind, bei denen man was lernt und die auch gut umsetzbar sind. Kristina Kobrow: Und diese Materialien werden wir natürlich auch verlinken. Hier in diesem Podcast, also auf der Seite live-hwi.de werden alle Materialien, also Dokumente, über die wir hier gesprochen haben, auch verlinkt sein. Da kann man nachgucken. Jan, an dich aber auch nochmal die Frage, wenn jetzt zum Beispiel auch eine Lehrkraft hier zuhört und denkt, oh, das klingt ja spannend, ich möchte das gerne mit meinen Schülern auch machen. Was macht man dann? Wendet man sich an dich? Oder guckt man auf der Projektseite? Oder geht ihr konkret auf die Schulen zu? Wie funktioniert das Zusammenkommen? Jan Pfetsch: Ja, also aktuell ist es eben so, dass die Materialien online stehen und erst mal frei genutzt werden können. Unser Ziel wäre, dass in der nächsten Förderphase Weiterbildungen für Lehrkräfte, für pädagogische Fachkräfte angeboten werden können, in denen sie sich damit auch auseinandersetzen. Das ist jetzt im Moment nicht möglich, weil die Arbeitsverträge auslaufen und wir sozusagen ja auch schauen müssen, wie wir uns irgendwie ernähren. Aber ansonsten ist es sozusagen geplant, dass wir solche Weiterbildungen auch umsetzen. Vielleicht ist es aber auch so leicht zugänglich, das wäre zumindest meine Hoffnung, dass man sich die Materialien anschaut. Es gibt ein Manual, wo es Schritt für Schritt beschrieben ist, wie die Module ablaufen und umgesetzt werden können. Also insofern, das sollte ganz gut sein. Wer es dann noch theoretisch vertiefen möchte, der kann das Buch, was bei BELZ-Verlag im Januar erscheinen wird, dann auch nochmal lesen. Genau, und wir drücken die Daumen für die nächste Förderphase, dann geht es noch intensiver weiter. Kristina Kobrow: Vielen Dank. Claudia, auch du hast ja Workshops durchgeführt, zusammen mit Kira Thiel und zusammen glaube ich auch mit Sünje Andresen und Stephan Dreyer, richtig? Genau, mit der rechtlichen Perspektive. Und in diesen Workshops ging es ja auch darum, Ansätze zu entwickeln für Coping-Strategien. Ihr habt Jugendliche gefragt, wie wünscht ihr euch eigentlich ein sicheres Internet? Kannst du da nochmal erläutern, was da die Ergebnisse waren? Was wünschen sich die Jugendlichen? Claudia Lampert: Ja, unser Ziel war jetzt nicht die Entwicklung von medienpädagogischen Materialien, wie bei den Kollegen aus Berlin, aber unser Ziel war, so Ideen von Kindern und Jugendlichen zu eruieren und auch ernst zu nehmen, weil die ja schon auch sehr kluge Ideen und Vorstellungen haben, was es braucht, um das Internet sicherer zu machen. Und dazu haben wir vier Co-Creation-Workshops durchgeführt im letzten Herbst am Gymnasium und an einer Stadtteilschule in Hamburg mit jeweils acht bis zehn Acht- und NeunklässlerInnen. Und das Ganze war so strukturiert nach drei Blöcken. Also einmal, was Plattformen eigentlich brauchen oder anbieten sollten, um für Kinder und Jugendliche sicherer zu sein. Dann, welche Art von Beratungs- und Unterstützungsangebote könnte oder sollte es eigentlich geben für Kinder und Jugendliche, die schlechte Erfahrungen online gemacht haben. Und dann auch noch die Frage dazu aus Sicht der Jugendlichen, was sollte man eigentlich wissen und können, um mit belastenden Erfahrungen umgehen zu können. Und das war wirklich sehr spannend, weil die Beteiligten da wirklich viel zu sagen hatten. Also, sie hatten sehr spannende Ideen, was so die Plattformen anbelangt. Also, dass sie verschiedene Funktionen bieten sollten. Zum Teil sind die auch schon vorhanden, zum Teil nicht bekannt. Deswegen wurden sie hier aber trotzdem nochmal genannt. Aber Funktionen zum Melden oder zum Blockieren oder zum Stummschalten und Flashen beispielsweise oder zum Thema Altersbegrenzung wurde viel diskutiert oder wie eigentlich die Plattformen damit umgehen sollten, wenn ein Fehlverhalten gemeldet wird. Also, wie die Plattformen dann auch sicherstellen, dass der Urheber dieser negativen Kommunikation dann eigentlich auch zur Rechenschaft gezogen wird oder eben verhindert wird, dass die weiter Dinge da tun können. Da hatten die Jugendlichen viele Ideen gehabt. Also, bis dahin gehend, dass sie zum Beispiel meinten, dass man auch KI einsetzen könnte, zum Beispiel bei TikTok, um Hate-Kommentare oder rassistische Kommentare zu löschen oder den Account eine gewisse Zeit zu sperren. Oder, dass man Altersbeschränkungen für bestimmte Angebote einsetzt, zum Beispiel Instagram bis 20 Jahre, weil viele eben gar nicht wissen, ab wie vielen Jahren eine App auch ist. Also, wo auch wieder daraus spricht, dass einige Jugendliche das eben auch nicht wissen. Also, was interessant war, ist, dass sowohl die Jugendlichen selber kritischer waren, aber eben auch bezüglich der Plattformen gesagt haben, dass die dort bitte schön strenger sein sollten. Das ist sehr interessant, dass das von den Jugendlichen selbst häufig kam. Und sie haben eben auch verschiedene Ideen entwickelt zum Thema Unterstützung und Beratung, was man da für Dinge anbieten kann. Also, auch, dass das Thema zum Beispiel in der Schule aufgegriffen wird, dass es verschiedene Workshops oder Online-Angebote gemacht werden zum Thema, wo man sich unterstützen lassen kann oder beraten lassen kann oder wo es auch um sowas geht wie Resilienzförderung und so ähnliches. Selbsthilfegruppen und Austauschmöglichkeiten wurden genannt beispielsweise, aber eben auch psychologische Angebote für diejenigen, die wirklich arg davon betroffen sind. Und was das Wissen und Können anbelangt, da hat uns natürlich auch interessiert, wer das denn vermitteln soll. Also, das, was man wissen können sollte, woher man das Wissen bekommt. Und da wurden dann eben schon auch Eltern genannt, Lehrkräfte und andere Pädagogen, die dafür verantwortlich gesehen werden, Workshop-Leiter, aber durchaus auch Freundinnen und Freunde. Und da wären wir dann wieder bei den Bystandern, denen da durchaus auch eine wichtige Verantwortung zugeschrieben wird. Also, wir hatten da durchaus eine bunte, kreative Gruppen am Start gehabt, die dann auch so aufgemalt haben, was man machen könnte und wo wir hoffen, dass da auch die verschiedenen Akteure, die da angesprochen sind, sich vielleicht die eine oder andere Idee dann rausgreifen. Kristina Kobrow: Und damit biegen wir in die Schlusskurve ein. Du hast jetzt gerade auch schon gesagt, es gibt ganz verschiedene Akteure, die hier eine Rolle spielen. Und genau diese Akteure, die habt ihr ja auch in dem Seekit-Kompass dann nochmal gebündelt. Also, dieser Kompass, das hatte ich am Anfang erwähnt, ist am 20. November erschienen. Jan, vielleicht kannst du nochmal abschließend sagen, an wen richtet sich dieser Kompass jetzt genau und um welche Handlungsfelder geht es? Jan Pfetsch: Ja, der SIKID-Kompass richtet sich an alle, die mithelfen können, für Kinder und Jugendliche eine unbeschwerte Teilhabe online sicherzustellen. Und entsprechend sind im Fokus nicht nur die Anbieter und medialen Akteure, die so verschiedene Apps designen und dann auch anbieten, auch die Medienregulierung, der Kinder- und Jugendmedienschutz, die Eltern, die Sorgeberechtigten, die damit einbezogen sind, Forschung und Wissenschaft, Bildung und auch außerschulische Bildung oder die Zivilgesellschaft, auch solche Unterstützungsstrukturen, an die man sich wenden kann oder eben die Sicherheitsbehörden, an die vielleicht eben bei schwerwiegenden Grenzverletzungen auch bestimmte Dinge gemeldet werden müssen. Kristina Kobrow: Und Forschung und Wissenschaft, das hast du auch gerade gesagt, ist selber auch ein Teilbereich. Vielleicht könnt ihr beide abschließend nochmal sagen, was sind denn da die drängendsten Fragestellungen, um die es da geht in dem Bereich? Claudia Lampert: Also ich würde sagen, weiterhin viel Forschung zu besonders vulnerablen Zielgruppen. Das sind vor allem jüngere Zielgruppen, sind aber auch Kinder und Jugendliche aus, ich würde jetzt mal sagen, ressourcenärmeren Elternhäusern, die eine besondere Unterstützung brauchen, weil sie einfach diese nicht bekommen. Und insbesondere eben auch brauchen wir längerfristige Forschung, einfach damit wir nicht immer nur so punktuell schauen, okay, was passiert da gerade und wie reagieren sie, sondern dass wir eben auch schauen können, was belastende Online-Erfahrungen eigentlich auch in einer längerfristigen Perspektive für Auswirkungen haben, beziehungsweise umgekehrt eben auch, inwieweit dann auch die Verbesserungen der Unterstützungsmöglichkeiten sich auf die Online-Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen auswirken. Jan Pfetsch: Und ich denke, es ist sehr wichtig, die Kinder und Jugendlichen selbst zur Sprache zu bringen, vielleicht auch partizipativ in Forschung mit einzubinden. Diese Co-Creation-Workshops wären ja ein schönes Beispiel, wie das umgesetzt werden kann und auch zu hören von den Kindern und Jugendlichen, welches sind eigentlich die Probleme, die Schwierigkeiten, die sie haben und die in den Blick zu nehmen. Ein weiterer Punkt ist, denke ich, die Entwicklung von Online-Interaktionsrisiken, die so dynamisch sind und es sich eben sehr kurzfristig stärken können, die mitzubetrachten, auch technische Fähigkeiten wie KI sozusagen da im Blick zu behalten und zu schauen, wie die Risiken auch miteinander vernetzt sind oder sich auch unterscheiden bei unterschiedlichen Zielgruppen. Genau, ich denke, das sind erstmal wichtige Ansatzpunkte. Kristina Kobrow: Dann bleiben wir dran und machen vielleicht irgendwann nochmal eine neue Podcast-Folge dazu. Ich danke euch beiden sehr, dass ihr da wart und dass ihr so viele Einblicke geteilt habt. Also wirklich vielen Dank für eure Zeit. Und ja, dann gibt es den nächsten BredowCast hier zu hören in ungefähr einem Monat. Und in der Zwischenzeit kann man uns auch folgen auf LinkedIn, wir sind das Leibniz-Institut für Medienforschung. Und wir sind auch auf Threads und da heißen wir BredowInstitut. Bis dahin. Tschüss. Claudia Lampert und Jan Pfetsch: Tschüss.