BredowCast990 – Sexting im Strafrecht Transkript Johanna Sebauer Herzlich willkommen, das ist der BredowCast, der Podcast aus dem Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Mein Name ist Johanna Sebauer und in diesem Format spreche ich mit Medienforscherinnen und Medienforschern über ihre Arbeit. Heute zu Gast sind Sünje Andresen und ihr Kollege Stephan Dreyer, beides Medienjuristen, Experten im Jugendmedienschutz, Jugendstrafrecht bei Dir auch, Sünje. Sünje Andresen Genau, ja Johanna Sebauer Wir sprechen heute über ein Thema, über das sprechen wir nicht alle Tage hier bei uns in unserem kleinen Medienforschungspodcast. Wir sprechen einerseits über Sexting, also über das Austauschen sexueller Bilder online im Einvernehmen. Andererseits wird uns aber auch beschäftigen: Kinderpornografie bzw. die Darstellung von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen. Diese beiden Sachverhalte haben auf den ersten Blick jetzt nicht wirklich etwas miteinander zu tun, erfüllen aber beide aktuell ein und denselben Tatbestand im Strafgesetzbuch, nämlich dann, wenn die Personen, die sich einvernehmlich sexuelle Bilder zuschicken, minderjährig sind. Das macht Jugendliche, die gerade ihre Sexualität entdecken, zu Straftätern. Ein juristisches Dilemma, das uns Sünje Andresen und Stephan Dreyer im Detail erklären werden können. Ihr beschäftigt euch mit dieser Materie, ihr seid Experten im Jugendmedienschutz. Über welche Paragraphen im Strafgesetzbuch sprechen wir da überhaupt? Sünje Andresen: Also, wir sprechen über das Sexualstrafrecht an sich und da vor allem über die Paragraphen 184, 184b und c. Vor allem 184b ist der Paragraph, der Kinderpornografie unter Strafe stellt, also den Besitz, das Verbreiten und das Herstellen. Vielleicht müssen wir noch einmal ganz kurz sagen, dass wir zwar jetzt gerade von Kinderpornografie gesprochen haben, weil eben der Paragraph auch von Kinderpornografie spricht, aber es ist ganz zu Recht eine große Diskussion gibt darüber, ob das der richtige Begriff ist, beziehungsweise man nicht eigentlich von Missbrauchsdarstellung reden muss. Genau, das heißt, einmal reden wir über 184a, Kinderpornografie, und über 184c, Jugendpornografie. Stephan Dreyer: Jetzt hast du gerade in 184a gesagt, das ist dann die Gewalt- und Tierpornografie, und abhängig davon, ob da Minderjährige zu sehen sind oder nicht. Also 184b und c. Johanna Sebauer Für die, die es ganz genau wissen wollen, ist das jetzt wichtig, für alle anderen, die Nummern müssen wir uns jetzt nicht so genau merken. Stephan Dreyer: Du merkst aber schon, dass das Strafrecht sehr genau ist an manchen Stellen. Johanna Sebauer Muss es ja auch. Stephan Dreyer: weil es ja um Haftstrafen geht. Johanna Sebauer Dieser Paragraph 184b ist in den letzten Jahren verschärft worden. Das hat so ordentlich Wirbel geführt, kannst du uns da mal durchführen? Sünje Andresen: Ja, klar. Also 2021, wir haben es alle mitbekommen, gab es ja ganz viele Missbrauchsskandale, beispielsweise in Staufen, und da ist die Bundesregierung ordentlich unter Druck geraten in der ganzen Geschichte. Weil von ganz vielen Seiten kam, dass hier doch das Strafrecht zu lasch umgehen würde mit den Täter*innen, beziehungsweise wie das denn eigentlich sein könnte, dass sowas nicht gemerkt wird. Daraufhin wurde eigentlich die ganze Zeit gesagt, wir brauchen kein verschärftes Strafrecht. Plötzlich ist aber das Bundesjustizministerium doch unter dem Druck zusammengebrochen, was man ja auch irgendwie ein bisschen verstehen kann, und hat den 184b damals zu einem Verbrechen gemacht. Das heißt, vorher war es ein Vergehen, danach wurde die Mindeststrafe auf ein Jahr hochgesetzt, was gleichbedeutend damit ist, dass es ein Verbrechen ist. Das mag jetzt vielleicht für den Normalbürger erst mal nicht so viel bedeuten. Johanna Sebauer Ja, total, ich finde auch das total logisch, wenn du das erzählst, dass dieser Tatbestand, das Herstellen von Kinderpornografie, hart bestraft wird, ist ja in erster Linie auch verständlich. Sünje Andresen: Definitiv. Genau, das ist eben genau der Punkt gewesen. Daraufhin ist die Mindeststrafe hochgesetzt worden auf ein Jahr, gleichbedeutend mit einem Verbrechen. Da ziehen sich aber so ein paar Sachen mit ran, die dann nicht mehr möglich sind, beispielsweise eine Einstellung nach §153, § 153a Taten, die in der Intensität vielleicht nicht vergleichbar sind mit anderen Taten, können nicht mehr eingestellt werden. Wo natürlich auch ganz klar gesagt werden kann, ist es okay, dass sowas nicht mehr eingestellt werden kann. Und man darf auch nicht vergessen, dass nur, weil eine Strafe hochgesetzt wird, schlimmer bestraft wird. Die Richter hatten ja vorher auch schon die Möglichkeit, diese Straftaten schwer zu bestrafen. Das ist sozusagen nicht erst durch die Hochsetzung gekommen. Johanna Sebauer: Noch mal kurz. Ein Vergehen war es eben vor dieser Gesetzesverschärfung. Wie wurde es da bestraft? Was war da der Strafrahmen? Sünje Andresen: Ich glaube, es gab keinen Mindeststrafrahmen. Stephan Dreyer: Ich würde sagen, es waren wahrscheinlich mindestens sechs Monate, ich weiß es aber nicht. Sünje Andresen: Genau, also ich bin der Meinung, die gab keinen. Johanna Sebauer: Das heißt aber, ein Verbrechen muss mindestens mit einem Jahr bestraft werden. Sünje Andresen: Genau. Johanna Sebauer: bis open end Sünje Andresen: Es ist auch hochgesetzt worden auf zehn Jahre. Das heißt, wir haben auch eine relativ hohe Maximalstrafe sozusagen. Genau. Stephan Dreyer: Als politische Reaktion funktioniert das gut. Dass wenn man das Gefühl hat, Leute, die wirklich schwerstkriminell sind, vor Gericht landen und bestraft werden. Und dann hört man so etwas wie, ja, der hat ein Jahr auf Bewährung bekommen oder so. Dann funktioniert das als Argument zu sagen, wir erhöhen jetzt den Strafrahmen oder erhöhen auch den Mindeststrafrahmen. Das Problem ist, dass es eben strafprozessuale Folgen hat. Und wenn man dann einen Tatbestand hat, der allein schon den Besitz unter Strafe stellt, also ich mache sozusagen den Tatbestand sehr breit und die Strafe sehr hoch, dann steigt das Risiko, dass ich auch Leute erwische, die jedenfalls nicht schwerstkriminell sind, sondern die möglicherweise durch Unwissenheit – Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, den kennen wir, den Spruch – oder aber, weil sie zum Beispiel helfen wollten, auch in den Besitz von entsprechendem Material gelangen. Und dann hat die Staatsanwaltschaft keine Chance, das Verfahren einzustellen. Das heißt, die landen vor dem Richter, und wenn der Tatbestand erfüllt ist, hat der Richter mit mindestens einem Jahr zu bestrafen. Und das, wie gesagt, bei den Fällen, wo die kriminelle Energie da ist, wo möglicherweise auch noch pädokriminelle Energie dahintersteckt, da brauchen wir uns nicht darüber zu unterhalten. Dann ist das sozusagen eine politische Entscheidung, dass man das sehr, sehr hart bestrafen will. Aber wenn man keine Chance hat, da rauszukommen, bei Fällen, wo selbst der Richter sagt, ich würde so gerne nicht verurteilen, aber ich muss, ist ja in ein oder zwei Urteilen tatsächlich in der mündlichen Verhandlung so gesagt worden von den Richterinnen und Richtern. Dann muss man als Rechtspolitiker sich nochmal ans Herz fassen und fragen, habe ich da möglicherweise etwas zusammengepackt – also breiter Tatbestand und hohes Strafmaß – ob das das Richtige war in diesem Fall. Und da gibt es ja Bewegungen zurzeit. Sünje Andresen: Genau, es gibt da gerade Bewegungen, es wurde schon damals enorm kritisiert, sowohl aus Praxisgesichtspunkten als auch aus Wissenschaftssicht. Und jetzt ist Bewegung reingekommen. Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf vorgestellt, wo das Ganze wieder rückgängig gemacht werden soll, wo nämlich der Paragraph wieder zu einem Vergehen gemacht wird. Das heißt, die Mindeststrafe wird wieder runtergesetzt, und eine Einstellung wird wieder möglich. Es war zwischenzeitlich die Frage, ob nicht eventuell ein minder schwerer Fall mit reinkommt und sozusagen das weiterhin bei einem Verbrechen bleibt. Das ist nicht geschehen, was auch gut ist, weil das nämlich wieder nichts geändert hätte an der Frage, ob ich einstellen kann oder nicht, weil trotz minder schweren Falls wird das Ganze weiterhin ein Verbrechen bleiben. Das ist begrüßt worden aus jeglicher Richtung, dass das so gemacht wird. Also ich habe bisher nichts Gegenteiliges gelesen dahingehend, und da stecken sie gerade mittendrin. Johanna Sebauer: Die Gesetzesänderung, die Verschärfung, ist ja im Vorfeld auch schon sehr stark kritisiert worden. Warum glaubt ihr, hat der Gesetzgeber sich dennoch dafür entschieden? Sünje Andresen: Es ist einfach aufgrund der Missbrauchsskandale gewesen. Man stand extrem unter Druck, da wurde ja auch sehr viel falsch gemacht in den Ermittlungsprozessen, dass da nicht rechtzeitig reagiert worden ist. Also da waren ja teilweise Hinweise da. Das hat aber alles nichts mit der Strafe an sich und dem Paragraphen an sich zu tun, mit dem Recht. Da sind anderswo Fehler passiert und nicht im Recht an sich. Wir haben die Möglichkeit, das hart zu bestrafen, und das war auch vorher schon da. Johanna Sebauer: Also war das in gewisser Weise eine Signalentscheidung auch an die Bevölkerung, zu sagen, wir kümmern uns drum? Stephan Dreyer: Das klingt jetzt positiv, man kann auch von Symbolpolitik sprechen. Denn wie Sünje gesagt hat, das waren vorher schon hohe Strafen möglich. Und bei solchen schweren Fällen scheuen die Richter*innen sich ja auch nicht davor, das entsprechend zu verhängen. Dafür haben sie diesen Spielraum in der Beurteilung. Johanna Sebauer: Das Gesetz ist in seiner neuen Form seit Juli 2021 in Kraft. Und seitdem sind ganz viele wilde Dinge passiert. Dieses Gesetz hat sehr viele Nicht-Fälle produziert. Also Leute, die eigentlich helfen wollten, sind ins Visier der Justiz gelangt. Wie ist das geschehen? Sünje Andresen: Also es gab beispielsweise Fälle, wo Lehrer*innen mitbekommen haben, dass da in Klassen-Chats Bilder verbreitet werden, sich das haben zuschicken lassen. Und in dem Moment bist du im Besitz von Kinderpornografie und zwar bewusst und bist strafbar nach dem Paragraphen. Das heißt, du musst auch bestraft werden nach diesem Paragraphen. Dann gab es Fälle, wo beispielsweise Facebook-Accounts gehackt worden sind und dann Menschen Screenshots gemacht haben, um die andere Person darauf aufmerksam zu machen: „Hey, hier wird Kinderpornografie auf deinem Kanal verbreitet. Bitte mach doch was dagegen.“ Auch die sind am Ende genau in der Spanne des Paragraphens drin. Johanna Sebauer: Und da haben wir dann das Problem, dass die Justiz nichts sagen kann: „Wir stellen das ein.“ Sünje Andresen: Die Staatsanwaltschaft kann nicht nach § 153 StPO einstellen. Und das Gericht kann nicht nach § 153a StPO einstellen. Das heißt, es muss irgendwie eine Strafe festgesetzt werden. Und das Problem ist aber auch einfach, wenn wir in diesen Strafhöhen sind, dann haben wir auch am Ende bzw. generell bei dieser Anschuldigung – es ist ja eine massive Anschuldigung, wie wir ja schon gesagt haben, Kinderpornografie ist ein Delikt, das bestraft werden muss, das ist eines der schärfsten oder schlimmsten Delikte, die es gibt – und dieser Anschuldigung entgegenzustehen, ist natürlich extrem stigmatisierend und schwierig für die betroffene Person, gerade wenn sie nur helfen wollte. Da überlege ich mir natürlich drei Mal, wie ich es mache. Das heißt, selbst Polizeibeamt*innen konnten bei Schulungen beispielsweise nicht rechtssicher sagen, was Lehrer*innen machen sollen, wenn so etwas aufkommt. Das war eine große Problematik in den letzten Jahren. Johanna Sebauer: Das hat ja vor allem Lehrkräfte auch schlimme berufliche Folgen, wenn man verbeamtete Lehrkraft ist, dann…? Stephan Dreyer: Nicht nur die verbeamteten, auch die, die im öffentlichen Dienst sind, weil man dort in Einrichtungen arbeitet, die mit Minderjährigen arbeiten. In der Regel gibt es dort die Vorgabe, dass man dann, wenn man einen entsprechenden Eintrag im erweiterten polizeilichen Führungszeugnis hat, dort nicht mehr eingestellt werden darf oder eingesetzt werden darf, jedenfalls in der direkten Zusammenarbeit mit Kindern oder Minderjährigen. Sünje Andresen: Das heißt, auch den Trägern beispielsweise in der Jugendhilfe sind da einfach die Hände gebunden, wenn so etwas passiert. Sie dürfen dich nicht beschäftigen. Johanna Sebauer: Das sind ja alles Konsequenzen, die man im Kopf hat, die einen selbst vielleicht dazu bringen, in gewissen Fällen nicht einzuschreiten oder nicht zu helfen. Weil man weiß, ansonsten kommt man selbst ins… Stephan Dreyer: Ja, und ich halte das für doppelt fatal, zum einen eben, weil die Hilfsbereitschaft, die vielleicht da war, dann zurückgenommen wird, weil man nicht weiß, was man machen soll in dem Moment. Und das andere ist, dass durch diese politische Entscheidung das Thema ja, also erst durch die Skandale und dann durch die Verurteilung und dann durch die Verschärfung, das Thema ja in die Köpfe von uns allen gekommen ist. Und auch darauf deuten jedenfalls die Zahlen hin, dass wir mehr entdecken, dadurch, dass wir aufmerksamer geworden sind für die entsprechende Verbreitung von solchen Darstellungen. Das heißt, jetzt ist sozusagen die gesellschaftliche Awareness da für das Thema da, aber man weiß nicht in dem Moment, wenn man es dann sieht, wie darf ich mich jetzt verhalten, weil man auch gehört hat, dass man möglicherweise selber sich dann strafbar macht. Und das ist ein so negativer Anreiz sozusagen zu helfen, zu melden, dass wir da eigentlich andere Ansätze für brauchen. Johanna Sebauer: Das Gesetz, wir haben es in der Einleitung erwähnt und ihr habt es auch in einer Stellungnahme zum neuen Gesetzesentwurf geschrieben, dieses Gesetz erfasst nicht nur im besten Sinne handelnde Eltern, Lehrkräfte, sondern auch Jugendliche oder vielleicht sogar Kinder, die sich sexuelle Nachrichten hin und her schicken. Stichwort Sexting. Was soll man davon halten? Sünje Andresen: Ja, also es wurden sogar relativ viele erfasst. Ich habe hier einmal die Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik von 2023, da war es nämlich so, dass knapp 50 Prozent der Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt waren und von diesen 50 Prozent noch mal knapp 30 Prozent sogar unter 14 Jahren und damit strafunmündig sind. Das heißt, wir sprechen sozusagen bei diesen Delikten eben gerade nicht von dem Täter, den wir ja eigentlich im Blick haben, nämlich den pädokriminellen Täter, der dahintersteckt und der massive Straftaten begeht, sondern hier sind, ich will gar nicht abstreiten, dass natürlich auch Jugendliche auch zurecht Täter*innen in dem Bereich sind. Aber viele bewegen sich natürlich im Rahmen des Sextings und wie du vorhin ja schon ganz richtig gesagt hast, ist Sexting der einvernehmliche Austausch von sexuell konnotierten Bildern. Und wenn man es so definieren möchte, ist das ein Ausdruck von Sexualität. Johanna Sebauer: Stephan, du beschäftigst dich ja auch sehr intensiv mit Jugendmedienschutz oder mit dem Aufwachsen von Kindern in digitalen Medienumgebungen und was das rechtlich bedeutet. Sexualität wandert so wie das ganze Leben von jungen Menschen eigentlich auch immer mehr ins Digitale hinein. Also ist das etwas, was zunimmt, die Sexualität entdecken über digitale Medien? Stephan Dreyer: Also die Wissenschaft spricht dann ja von Mediatisierung, dass alle unsere Lebensbereiche sich durch Medien sozusagen verändern und dass diese Lebensbereiche auch über Medien vermittelt werden. Andreas Hepp spricht zum Beispiel sogar von tiefer Mediatisierung. Also alle Lebensbereiche sind Medien zum großen Teil oder zum Teil medienvermittelt, und das bedeutet natürlich auch, dass Sexualität mediatisiert wird und Sexualität ist etwas, was früh anfängt und nie aufhört bei uns allen. Und deswegen sind auch die Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen in der Sexualität im Ausprobieren besteht, im Experimentieren, Dinge tun, bei denen man nicht weiß, wie man dazu steht.. Und wenn das mediatisiert wird, heißt das, dass auch sexuelle Aktivitäten, sexualisierte Botschaften, Darstellungen, Kommunikation, Austausch und so weiter sich über Medien gestalten. Nicht nur, aber eben auch. Und die Zahlen, die wir kennen, da wissen wir, dass das mit 12, mit 13 beginnt, dass man versucht, sozusagen Körperlichkeit und Interesse am gleichen oder am anderen Geschlecht medial vermittelt auszudrücken, die ersten Kontakte knüpft, spätestens mit 14 oder 15,ist das dann bei vielen der Alltag, dass das sexualisierte Leben sozusagen auch genauso wie offline dann online ausgelebt wird. Johanna Sebauer: In eurer Stellungnahme habt ihr das so beschrieben, dass typisches Sexualverhalten im Rahmen von kontextuellem Sexting den Straftatbestand erfüllen kann. Das ist ja eigentlich ein Wahnsinn. Stephan Dreyer: Ja, da muss man ein bisschen unterscheiden zwischen diesem 184b und 184c, weil bei § 184c, dem der Jugendpornografie, da hat sich der Gesetzgeber schon überlegt, was machen wir denn mit solchen Fällen, wo jemand einvernehmlich handelt. Und da gibt es dann in Absatz 3 eine Ausnahme, Tatbestandsausschluss, wo dann eben steht, dass wenn man einvernehmlich mit der abgebildeten Person sozusagen diese Aufnahmen hergestellt, dass man dann nicht bestraft werden kann. Das Problem ist nur, wenn wir über Sexting sprechen, dann stellt niemand von einer anderen Person einvernehmlich ein Foto her, sondern das sind Selfies. Und diese Selfies werden dann an – konsensual bestenfalls – handelnde Empfänger verschickt. Die erfüllen dann aber mit dem Besitz dieses Fotos wieder den Tatbestand der Jugendpornografie, denn sie haben das nicht selber hergestellt, sondern es wurde ihnen zugeschickt von der abgebildeten Person selbst. Und da fängt man dann an zu sagen, das kann ja eigentlich nicht richtig sein, und viele Gerichte machen das auch so und sagen, na ja, also hier war schon Konsensualität am Start. Und da wird dann oft von Strafe abgesehen oder, ich weiß nicht, es wird dann eingestellt? Sünje Andresen: Ja, genau, also der Punkt ist da so ein bisschen, was Stephan gerade schon gesagt hat. Und da sind wir jetzt im Bereich Jugendpornografie, alles ab 14. Und da haben wir eben gerade das Problem, dass, wie Stephan ja gerade schon richtig gesagt hat, es gibt einen Ausnahmetatbestand in diesem 184c, der dann halt sagt, dann ist es nicht strafbar, wenn ich ein Foto von dir mache und das für mich behalte. Und dann sagt der Gesetzgeber, was eigentlich total schwierig ist, in seiner Gesetzesbegründung: „Ja, wir haben den Fall schon gesehen, dass ihr euch gegenseitig Fotos schickt. Wir sehen schon, das ist sehr vergleichbar mit dem Fall, den wir schon geregelt haben. Deswegen denken wir, dass sollte auch nicht strafbar sein. Also, liebe Gerichte und Staatsanwaltschaften, macht doch bitte eine teleologische Reduktion. Johanna Sebauer: Das musst Du jetzt aber erklären. Sünje Andresen: Eine teleologische Reduktion ist eine juristische Auslegungsmöglichkeit oder Variante. Das bedeutet eigentlich, dass wir sagen: „Okay, wir nehmen diesen Tatbestand und legen ihn anders aus, als er da steht, weil eigentlich ist was anderes gemeint.“ Das bedeutet, die teleologische Reduktion sagt, 184c ist nicht anwendbar auf die Form des Sextings. Eine andere Meinung sagt, wir müssen diesen Ausnahmetatbestand analog anwenden auf dieses Hin- und Herschicken von Bildern. Da haben wir aber schon das Problem, dass sie sich nicht einig sind. Und am Ende ist eine juristische Auslegungsmöglichkeit immer noch eine Möglichkeit. Das heißt, die Gerichte sind nicht daran gebunden, dass der Gesetzgeber sagt, in einer Gesetzesbegründung: „Bitte macht doch diese teleologische Reduktion.“ Sondern die Gerichte machen das so, wie sie das für richtig halten, beziehungsweise wie sie denken, dass es richtig ist. Und da haben wir einfach die Pflicht des Gesetzgebers, dass er das richtig formulieren muss und sich nicht einfach aus der Affäre ziehen kann und in irgendeiner Gesetzesbegründung sagt: „Bitte legt das doch so aus.“ Sondern es muss schon vom Wortlaut ausgeschlossen sein, und in diesen Tatbestandsausschluss, den wir ja haben, was ja gut ist am 184c, dass wir sagen: „Das ist gar nicht erst strafbar“, müssen sie es eigentlich direkt mit reinschreiben, dass auch einvernehmliches Sexting unter Gleichaltrigen nicht vom Tatbestand erfasst ist. Johanna Sebauer: Können wir das vielleicht mal an so einem Beispielfall durchspielen, was Jugendlichen eigentlich droht, wenn sie „auffliegen“? Und wir bleiben jetzt beim Tatbestand der Jugendpornografie. Also wir haben zwei Jugendliche, 16 Jahre alt, die schicken sich Nacktfotos hin und her. Das bekommt irgendjemand mit. Was passiert denn? Sünje Andresen: Ja, also im schlimmsten Fall zeigt jemand das an. Es kann ja die Person selbst sein, wichtig ist noch mal zu sagen, wir reden hier immer nur von einvernehmlichem Sexting, das immer nur unter diesen beiden Personen bleibt. Sobald etwas nach außen gerät von diesen Bildern, haben wir auch andere Tatbestände, die das miterfassen. Johanna Sebauer: Ja, Also wenn einer das weiterschickt an die Kumpels, die das wieder weiter verschicken.. Sünje Andresen: Ja genau, auch dann fallen wir raus aus der Ausnahme. Das heißt, jemand zeigt das beispielsweise an, weil vielleicht die Beziehungsperson irgendwie sauer ist in einem Moment, oder weil die Eltern das nicht toll finden. Und dann wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, der erst mal arbeitet. Das ist erst mal die Polizei, die das Ganze aufnehmen muss. Das heißt, da werden Gespräche geführt, mit den Jugendlichen, mit den Eltern. Da wird eventuell sogar eine Durchsuchung gemacht. Das weiß man nicht. Das kommt immer auf die Polizei, beziehungsweise die Staatsanwaltschaften an, die ja dann die Durchsuchungsbeschlüsse auf den Weg bringen. Und dann haben wir erst mal eine Maschinerie, die läuft. Die Polizei kann auch nicht einstellen. Das heißt, die Polizei kann auch nicht sagen: „Wir verfolgen das hier gar nicht, weil wir sehen das nicht als strafwürdig ansehen“, sondern das müsste dann die Staatsanwaltschaft machen. Beim 184c haben wir ja auch die Möglichkeit der Einstellung, die sowieso bei Jugendlichen ein bisschen anders läuft als bei Erwachsenen. Die läuft nämlich über § 45 JGG beziehungsweise § 47 JGG, und ist auch im Gegensatz zu Erwachsenen bei Verbrechen möglich, also auch bei 184b noch eine andere Möglichkeit. Aber genau, das heißt, wir haben erst mal einen Apparat, der läuft, und wie wir ja vorhin schon gesagt haben, es gibt eine gewisse Stigmatisierung. Ich habe die Stigmatisierung des Sexualstraftäters, und wenn ich in einem kleinen Dorf beispielsweise lebe, ist das natürlich etwas, was jeder mitbekommt, wenn die Polizei irgendwie auch noch der Nachbar ist oder so. Johanna Sebauer: Abgesehen davon, ob das Verfahren dann eingestellt würde oder nicht, das frisst ja bis dahin auch schon wahnsinnig viele Ressourcen. Sünje Andresen: Das frisst enorm viele Ressourcen, und auch das war etwas, das vor allem bei 184b damals bei der Verschärfung sehr kritisiert worden ist, auch von Polizei und Staatsanwaltschaft und Gerichten. Da wurde gesagt, ihr bündelt hier zu viele Ressourcen. Wir können uns um die Täter*innen, um die wir uns wirklich kümmern wollen, nicht mehr kümmern. Und dann haben wir wieder das Problem, dass nicht genug Ermittlungsbeamt*innen da sind. Johanna Sebauer: Wir waren jetzt gerade beim Beispiel, beim Tatbestand der Jugendpornografie. Wenn wir jetzt unsere Beispielpersonen jünger machen würden und sagen, zwei 13-Jährige schicken sich Bilder hin und her, was würde da passieren? Sünje Andresen: Wahrscheinlich würde zunächst auch erst mal die Polizei ermitteln, weil, wie wir ja schon gesagt haben, wir wissen ja nicht am Anfang, ob sie tatsächlich 13 sind. Das heißt, es müsste erst mal ermittelt werden, ob diese Person tatsächlich 13 ist, also unter der Strafmündigkeitsgrenze. Das heißt, es kann auch da passieren, dass ermittelt wird. Am Ende wären diese Personen nicht strafmündig, und es würde nichts mehr passieren. Aber ein großer Schreck kann trotzdem zurückbleiben, in dem Fall, ne? Johanna Sebauer: Würde es einen Unterschied machen, wenn eine Person über 14 ist? Eine 14, die andere 13? Stephan Dreyer: Sofort. Dann ist jemand strafmündig geworden, und wir kennen bei 184b keine Ausnahmeregelung wie bei der Jugendpornografie, auch wenn sie schlecht ist, sondern da wird dann ermittelt und verurteilt. Sünje Andresen: Und absurd wird es ja dann, wenn wir davon ausgehen, dass diese 13-jährige Person mit einer 14-jährigen Person in einer Beziehung ist, die sich einvernehmlich Fotos schicken. Das dürfen sie nicht, aber gleichzeitig hält der § 176, der sexuelle Missbrauch von Kindern, eine Ausnahmeregelung vor und sagt, hier ist das nicht mit Strafe bedroht bzw. wir müssen eine Ausnahme von Strafe machen, wenn die Personen gleich alt sind, und wir noch mehr Voraussetzungen haben, beispielsweise die gleiche Reife. Das heißt, diese Personen dürften sich beispielsweise berühren, sie dürften miteinander intim werden, sie dürfen sich aber keine Fotos schicken. Und das ist natürlich völlig absurd, wenn man sich das am Ende vorstellt am Ende. Johanna Sebauer: Safe Sexting für Jugendliche. Ist das aktuell möglich? Stephan Dreyer: Ja, wenn man das nicht über Medien macht. (Lacht) Johanna Sebauer: Man könnte sich Briefe schicken mit analogen Bildern? Darf man das? Sünje Andresen: Ja, Verschicken ist dann ja auch wieder so ne Nummer. Also bei 184b ist es egal, ob ausgedruckt oder nicht. Es ist Kinderpornografie. Das heißt, da kommen wir nicht raus aus der Nummer. 184c ist ja eine Geschichte. Wenn ich Fotos von der Person mache und sie dann für mich behalte, dann ist das alles in Ordnung. Wenn ich was hin- und herschicke, könnte es schwierig sein. Es gibt ja ganz viele Kampagnen, die darüber diskutieren und die aufklären und versuchen, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, das Ganze möglichst rechtssicher zu machen. Aber das ist ja auch eben gerade das Problem: Wir schauen hier auf eine Rechtssicherheit, wobei ja vielleicht ganz andere Sachen im Fokus stehen sollten, nämlich die Frage, mit wem tausche ich Bilder aus, womit fühle ich mich wohl, welche Bilder tausche ich aus, und ich lasse mich nicht unter Druck setzen, wenn ich keine Bilder austauschen möchte. Das heißt, diese Sachen müssen im Fokus stehen und vielleicht nicht eine mögliche Strafbarkeit, in der sich dann Personen bewegen, die da definitiv nicht reingehören. Stephan Dreyer: Also die Kinderrechtskonvention spricht ja von Schutz, Befähigung und Teilhabe. Und die Befähigung, die wir jetzt erleben, ist eine, die zum rechtlich sicheren Sexting befähigen soll. Eigentlich wäre ja die richtige Befähigung, dass man sich körperlich sicher fühlt, also dass man das tut, womit man sich wohlfühlt, und nicht das, wo man nicht von der Staatsanwaltschaft belangt wird. Also deswegen ist das so ein bisschen schräg, aber es liegt in der Natur der Sache, dass die Rechtslage jetzt so ist, wie sie ist. Und da versuchen die Kampagnen eben entsprechend, Awareness zu schaffen bei den Jugendlichen. Das wissen wir auch, dass sie möglicherweise wahrnehmen, dass es da eine Awareness-Kampagne gibt, wenn es aber dann zu großen Gefühlen kommt und man vielleicht ein schönes Bild zugeschickt bekommt von der jeweiligen Partnerin oder dem jeweiligen Partner, da gibt es dann kein Halten mehr. Ja, also da ist dann der emotionale Druck so hoch, dass man dann auch unabhängig von den ganzen Sachen, die man vielleicht gelernt hat, eben drauflos sextet und dann vielleicht nicht mehr daran denkt, woran man denken sollte. Also deswegen ist es aus unserer Sicht wichtiger, einen anderen Rechtsrahmen zu schaffen, der eben diese Form des Austausches ermöglicht, wenn er denn konsensuell ist und von ungefähr Gleichaltrigen. Damit wir, wenn wir dann Kampagnen uns überlegen, dass wir dann ein bisschen positiver und nicht so alarmistisch, wie ich es eben gemacht habe, sagen: „Also keine Medien benutzen beim Austausch von solchen Sachen.“ Also deswegen wäre es halt schön, wenn man ihnen sagen könnte, auch so könnt ihr euch ausleben. Ihr müsst auf bestimmte Dinge achten, nämlich, dass ihr den jeweiligen Menschen vertraut, dass er mit den erhaltenen Fotos gut umgeht. Johanna Sebauer: Also der Diskurs müsste eigentlich ein ganz anderer sein. Jetzt ist es ja so, dass Jugendlichen vermittelt wird, dass sexuelle Intimität online auch, das wird sofort in Verbindung mit dem Strafgesetz gebracht. Allerdings, und das ist eben wirklich dieses schwierige Dilemma. Natürlich, man möchte natürlich kriminelle Menschen, die sexuellen Missbrauch festhalten, austauschen, die möchte man ja natürlich schon erwischen. Aber wie kriegt man das hin, dass ein einvernehmlicher Austausch dieser Bilder da rausfällt? Sünje Andresen: Das ist nämlich genau das Problem, wo natürlich auch das Bundesjustizministerium extrem vorsichtig ist. Also alle sind auch zu Recht bei diesem Thema extrem vorsichtig. Es war schon wirklich sehr begrüßenswert, dass das jetzt angefasst worden ist, und auch nicht gesagt worden ist, minder schwerer Fall, sondern dass wirklich gesagt worden ist, okay, wir machen das jetzt rückgängig, und wir beißen jetzt in diesen sauren Apfel. Aber es muss eben noch mehr gemacht werden. Und da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man könnte, also man muss wieder schauen, welchen Paragraphen habe ich jetzt im Kopf? Wenn wir jetzt erst mal über 184b und Kinderpornografie sprechen, ist natürlich zunächst einmal eine Möglichkeit, einen ähnlichen Tatbestand, beziehungsweise Strafausschluss, wie § 176 StGB zu machen. Das heißt zu sagen, es ist von Strafe abzusehen, wenn hier der Täter und das Opfer gleich alt sind und auch in der Reife ähnlich entwickelt sind. Das ist die eine Möglichkeit. Da gehe ich aber natürlich nicht weg von diesem ganzen Apparat, der erst mal in Gang gesetzt wird, mit Ermittlungen, und am Ende kann von Strafe nur ein Gericht absehen. Wie gesagt, auch da bei Jugendlichen eine Möglichkeit mit Einstellungen vorher über § 45 JGG, das wäre eine Möglichkeit, oder dass man, ähnlich wie bei § 184c, einen Tatbestandsausschluss formuliert, der sehr ähnlich ist. Aber da ist natürlich einfach das Problem, dass man Angst hat davor, das Ganze zu ausufern zu lassen und dann wieder Personen nicht zu erfassen, die wir aber erfassen wollen. Und das ist so diese Waage, in der wir uns die ganze Zeit befinden, zwischen „ich muss irgendwie Kinder schützen und es ist wichtig, Personen zu erfassen, die wir erfassen wollen“, aber gleichzeitig halt auch zu schauen, wen ich eben gerade nicht drin haben will. Johanna Sebauer: Kann man Einvernehmlichkeit überhaupt wirklich gut beweisen? Vielleicht gibt es auch Fälle, wo das total schwierig ist, das festzustellen? Stephan Dreyer: Ja, absolut. Ein weiteres Problem ist, dass das Sexualstrafrecht Kindern unter 14 derzeit überhaupt keine Konsensualität unterstellt, also die können nicht einwilligen. Sünje Andresen: Deswegen ist es bei § 176 auch ein Strafausschluss und kein Tatbestandsausschluss, weil wir eben davon ausgehen, dass eine Einvernehmlichkeit unter 14 Jahren gar nicht geht. Das macht natürlich auch Sinn, weil sonst würde ja immer gesagt werden, dass die Person das ja wollte und eingewilligt in diese Handlung. Das heißt, wir würden uns immer in sehr hat schwierigen Konstellationen bewegen. Johanna Sebauer: Aber habt ihr nicht vorhin gesagt, es gibt den Paragraphen, was war das, 176? Der sagt... Sünje Andresen: Das ist ein Strafausschluss Ein Strafausschluss ist nochmal was anderes. Also es gibt den § 176, der sagt, sexueller Missbrauch von Kindern steht unter Strafe. Und in dem § 176 gibt es einen Absatz 2, bin ich der Meinung, einen Strafausschluss, der sagt, wenn der Täter und das Opfer gleich alt sind und eben diese gleiche Reife besitzen, dann ist von Strafe abzusehen. Johanna Sebauer: Okay, also zwei 13-Jährige zum Beispiel? Sünje Andresen: Ja, zwei 13-Jährige würden theoretisch ja gar nicht da reinfallen, weil wir ja wieder die Strafmündigkeit haben. Aber wenn es eine 14-jährige und eine 13-jährige Person wären, dann wäre das genau der Fall, der da reinfallen würde. Aber es ist eben nur ein Strafausschluss und kein Tatbestandsausschluss. Das heißt, es ist immer noch strafbar danach, aber das Gericht kann von Strafe absehen. Es ist ein bisschen juristisch kompliziert, macht aber juristisch tatsächlich auch Unterschiede. Also auch im Verständnis der Norm, ob es ein Tatbestandsausschluss ist oder ein Strafausschluss, macht sehr, sehr große Unterschiede. Und das sind eben diese juristischen Feinheiten, die bei 184b und 184c diskutiert werden müssen. Johanna Sebauer: Noch weitere Vorschläge, was man in Zukunft anders machen sollte? Stephan Dreyer: Das betrifft ja den großen Bereich, wie man auf diese Darstellungen trifft, wie man Täterinnen und Täter findet, identifiziert, verfolgt und dann vor das Gericht bringt. Und da sind die Diskussionen so alt wie die Straftatbestände, muss man sagen. Durch die Digitalisierung und Mediatisierung ist das eben noch viel mehr geworden, in absoluten Zahlen. Aber die Diskussionen, die wir führen, sind vor allen Dingen Fragen der Forensik. Also, wie kommen wir an diese Darstellungen ran? Und wie ermitteln wir dann die dazugehörigen Täter? Du sprichst immer nur von Tätern, was rein statistisch wahrscheinlich ausreichend wäre. Aber ich versuche jetzt hier alle Geschlechter noch mit zu nennen. Sünje Andresen: Ja, das stimmt, ich versuche es auch. Sonst werden sie ja auch nicht mit genannt, es gibt ja auch weibliche Täter. Stephan Dreyer: Sie sind extrem selten, aber es gibt sie. Und da sind wir dann in Themenbereichen, die Grundfreiheiten berühren. Es geht um Fragen wie Vorratsdatenspeicherung. Wenn ich die IP-Adresse von Täter*innen ermittle, wie komme ich dann an die personenbezogenen Daten, die sich hinter dieser IP verbergen? Wir sprechen über teilweise verschlüsselte Kommunikation zwischen zwei oder mehr Endgeräten, wo ich reingucken möchte, um diese Darstellungen dann zu ermitteln, oder überhaupt erst mal zu identifizieren. Und das sind dann sehr, sehr alte Themen, sozusagen, in der Strafrechtspolitik. Johanna Sebauer: Wie ist der aktuelle Stand? Stephan Dreyer: Ja, dynamisch. (Lacht) Also wir haben jetzt gerade vor wenigen Wochen gehört, dass die Verhandlungen im europäischen Rat unter der schwedischen Ratspräsidentschaft zum Erliegen gekommen sind, was eine Einigung für diese CSA-Verordnung, also CSA oder CSAM steht für Child Sexual Abuse Material, also Darstellung von Kindesmissbrauch. Wo diese Chatkontroll-Thematik aufgeploppt ist. Also wo die Idee war, wenn wir ahnen, dass in einem bestimmten Dienst auf einer bestimmten Plattform solches Material zunehmend gehandelt wird oder verbreitet wird, dann sagen wir dem Anbieter: „Monitore bitte sämtliche Kommunikation auf deiner Plattform, und wo du solche Sachen findest, leite das bitte direkt an das BKA oder die zuständige Polizeistelle weiter.“. Und dann ging natürlich die große Frage los: Bedeutet das auch, dass verschlüsselte Privatchats zwischen zwei oder mehr Personen darunterfallen? Betrifft uns das alle, die wir irgendwelche Kaninchenfotos in unsere Familiengruppe posten? Also müssen wir uns dessen bewusst werden, dass wir durchleuchtet werden, sozusagen, in unserer Kommunikation? Das war halt ein großes Thema. Und so ähnlich ist es ja auch bei der Vorratsdatenspeicherung. Es werden also personenbezogene Daten auf Vorrat gespeichert von sämtlichen Bürgerinnen und Bürger. Für den Fall, dass einer oder mehrere dabei sind, die Straftaten begehen. So dass man dann zugreifen kann und sagen kann: „Ich habe hier alle Daten hier. Jetzt weiß ich, es ist diejenige Person.“ Und das betrifft eben unsere Grundfreiheiten, Fragen von Privatheit, Fragen von Fernmeldegeheimnis, Fragen von persönlicher Kommunikation. Johanna Sebauer: Aber werden solche Bilder nicht hauptsächlich in privaten Chats verbreitet? Sünje Andresen Ja, und da sind wir dann eben gerade in dieser Durchleuchtungsgeschichte. Und wenn wir uns die Vorratsdatenspeicherung angucken, hat das bisher ja nicht so gut funktioniert. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch der EuGH haben die Vorratsdatenspeicherung in der Form, wie es sie gegeben hat, kassiert. Das heißt, wir müssen uns, wenn wir uns mit dieser neuen Verordnung auseinandersetzen, ganz klar mit den gleichen Fragen beschäftigen wie bei der Vorratsdatenspeicherung. Stephan Dreyer: Ich glaube, das war nachher auch das Problem sozusagen, in der Ratspräsidentschaft, wo versucht worden ist, einen Kompromiss zu finden. Und diese Anlasslosigkeit war am Ende das Problem, wo man sich nicht einigen konnte. Also, wie schaffen wir es vielleicht anlassbezogen, dann Daten aufzudecken? Aber was ist dann der Anlass? Sünje Andresen: Und auch das Problem, was denn überhaupt erfasst sein soll. Also es ging viel um bekanntes Material oder unbekanntes Material. Dann ging es tatsächlich auch um Grooming. Und die Frage, ob … Johanna Sebauer: Kannst Du das noch kurz erklären mit dem Grooming? Sünje Andresen: Grooming ist eben der Prozess, dass ein Kind im Internet angesprochen wird – also Cyber-Grooming – um dann schlussendlich sexuellen Missbrauch zu begehen. Johanna Sebauer: Also quasi gefügig machen von..? Sünje Andresen: Genau, es kann über Täuschung sein. Es muss aber nicht unbedingt über Täuschung sein, jedenfalls im rechtlichen Sinne. Da gibt es verschiedenste Definitionen, aber es geht vor allem um dieses Ansprechen im Netz, um dann später einen sexuellen Missbrauch zu begehen. Und darüber wurde auch diskutiert im Rahmen dieser Verordnung. Das heißt, es waren ganz viele verschiedene Phänomene, die da mit drin waren. Und auch insbesondere die Diskussion darüber, was ist denn technisch eigentlich möglich? Stephan Dreyer: Denn wir sind im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz. Und da war jedenfalls die Vermutung bei einigen, wahrscheinlich in der EU-Kommission. Ich weiß nicht, wer da sich persönlich für verantwortlich fühlte, aber da war offenbar der Eindruck entstanden, dass KI eine Art Magie ist, mit der man diese Problematik lösen kann. Also ich lasse eine gelernte KI auf sämtliche Metakommunikation, sämtliche Instagram-Posts oder was weiß ich, Direktnachrichten, rüberscannen. Und die würde dann, das könnte sie auch heute schon, bekanntes Material identifizieren. Das wird dann über solche Hashwerte zum Beispiel eindeutig identifiziert. Aber auch unbekanntes Material soll dann KI entdecken können. Und da haben sehr, sehr viele Leute sehr lange versucht, darauf hinzuweisen, dass das nicht der Fall ist. Also dieses Lernen am Modell, was KI macht, führt dazu, dass man, wenn man ein gutes Entscheidungsmodell hat, nachher ungefähr von 85 bis 88, 90 Prozent richtige Erkennungen hat. Und das ist ja schon eine ganze Menge. Aber wenn wir jetzt über 500 Millionen tägliche Nachrichten sprechen, die so eine KI durchleuchtet, und 10 Prozent sind dann entweder False Positives, also da, wo Unschuldige sozusagen dann auf einmal beschuldigt werden, oder False Negatives, da, wo entsprechendes Material nicht erkannt wird, dann reden wir über sehr, sehr viele Fehlentscheidungen von solchen KI-Systemen. Sünje Andresen Die auch wieder Ressourcen binden, was natürlich auch ein riesiges Problem ist. Stephan Dreyer: Ja, und dafür müssten wir dann unsere bürgerlichen Freiheiten einigermaßen aufgeben, weil wir nämlich wissen, dass wir in dem Moment nicht mehr privat kommunizieren, sondern dass überall Algorithmen nicht nur drübergucken – das klingt immer so – „dann erkennt die KI, dass das nichts ist“. Aber Fakt ist, dass es dafür ausgewertet werden muss. Es wird einem Entscheidungsmodell zugeführt. Das heißt also, es wird durchgescannt. Und wir wissen nicht, nach welchen Kriterien so ein Modell dann entscheidet. Also die Privatheit, so wie wir sie kennen und auch garantiert haben, wäre damit deutlich aufs Spiel gesetzt worden. Johanna Sebauer: Ja, man merkt schon, es ist ein wahnsinnig komplexes Thema, aber so muss es auch sein, denke ich, sonst kann man für diese Problematik keine passgenaue Lösung finden. Wie würdet ihr jetzt auch im Hinblick auf den Safer Internet Day, was würdet ihr Jugendlichen noch mal sagen, im Bezug auf Sexting, worauf man aktuell achten muss? Aus rechtlicher Sicht. Sünje Andresen: Ja, also aus rechtlicher Sicht. Es ist eben so, dass 184c bei Jugendlichen immer noch zumindest schwierig ist im Wortlaut. Das heißt, ich kann mir zumindest nicht ganz sicher sein, dass das am Ende eingestellt wird. Das möchte ich aber eigentlich gar nicht Jugendlichen sagen. Das ist nämlich genau das, was ich eben meinte mit, darauf sollte eigentlich der Fokus nicht liegen. Und bei 184b bin ich ganz klar in einer Strafbarkeit drin. Das heißt, wenn ich eine Freundin oder einen Freund habe, der minderjährig ist, dann nein, rechtlich. Aber das ist eben genau das Problem, was wir haben. Es ist so schade, dass es darum gerade geht in der Diskussion. Und ich denke auch, dass es extrem viele Kampagnen gibt, die das sehr gut machen und die Waage sehr, sehr gut halten. Und trotzdem, nämlich genau das Wichtige an die Hand nehmen mit „fühlt euch körperlich wohl und schaut, was euch gut tut und was ihr machen möchtet und vor allem, was ihr nicht machen möchtet“. Da gibt es sehr viele gute Kampagnen. Also ich will gar nicht sagen, dass es nur aufs Recht guckt, aber es ist eben ein großer Punkt. Stephan Dreyer: Ja, „macht das mit Leuten, denen man wirklich vertraut, nutzt Software, die ihr zum Beispiel beim Start extra verschlüsseln könnt oder mit einem Fingerabdruck absichert, die, wenn ihr das Bild bekommen habt, löscht es zum Beispiel“. Auch das kann ja eine Form von Absicherung sein. Dann hat man einfach eine schöne Erinnerung im besten Fall. Johanna Sebauer: Und dann persönlich treffen vielleicht? Stephan Dreyer: Genau. Johanna Sebauer: Ja, auch nicht immer nur online abhängen. Okay, ihr Lieben, vielen Dank für eure Zeit und die Einblicke in diese sehr komplexe Thematik. Danke, Sünje, danke, Stephan. Wir verabschieden uns. Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal. Tschüss. Stephan Dreyer und Sünje Andresen: Tschüss.